Nds. Landesarchiv, Abt. Wolfenbüttel > Ordentliche Gerichte

  • Zugeordnete Objekte zeigen
  • Drucken
  • Verlinken
  • Versenden
  • Verbessern

Beschreibung: Gliederung (Tektonik)

Identifikation (Gliederung)

Titel 

Ordentliche Gerichte

Kontext

Geschichte des Bestandsbildners 

1. Landgerichte

Die niedersächsischen Landgerichte, deren Einrichtung teilweise auf das große Reichsjustizgesetz von 1879 zurückgeht, wurden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg als elf mittlere Justizbehörden an den Standorten Aurich, Braunschweig, Bückeburg, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Stade und Verden (wieder)eröffnet (§ 2 Abs. 1 Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichte). Gemeinsam mit den drei ihnen vorgesetzten Oberlandesgerichten in Braunschweig, Celle und Oldenburg und den 80 ihnen nachgeordneten Amtsgerichten bilden sie die ordentliche Gerichtsbarkeit des Landes Niedersachsen.

Aufbau, Zuständigkeiten und Aufgaben der Landesgerichte werden durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10), in den §§ 59-78 geregelt.

Als rechtsprechende Organe (Spruchkörper) existieren an den Landgerichten Zivil- und Strafkammern. Die Zivilkammern, die Kammern für Handelssachen sowie die Kammern für Baulandsachen sind dem zivilrechtlichen Zweig zugeordnet. Die großen und kleinen Strafkammern, die großen und kleinen Jugendkammern und die Strafvollstreckungskammern gehören dem Strafrechtsbereich an.

Vor den Zivilkammern werden in erster Instanz bürgerliche Rechtsstreitigkeiten verhandelt, die einen Streitwert von 5000,01 Euro übersteigen und nicht den Amtsgerichten zugewiesen sind (§ 71 Abs. 1 GVG). Ebenso bilden die großen Strafkammern die erste Instanz für Strafsachen, die nicht in die Kompetenz des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts fallen. Sie sind zuständig für alle Straftaten, bei denen aufgrund der Schwere des Vergehens mit einer Freiheitsstrafe von über vier Jahren oder der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechnen ist. Sie werden als Schwurgerichte bezeichnet, wenn vor ihnen Verbrechen gegen das Leben und andere schwere Straftaten verhandelt werden (§ 74 Abs. 1 und 2 GVG). Die Aburteilung ebenso schwerwiegender Delikte, die unter das Jugendstrafrecht fallen, obliegt den großen Jugendkammern (§ 33b und 41 Jugendgerichtsgesetz).

In zweiter Instanz sind Landgerichte zuständig für die Berufung und Beschwerde gegen Urteile der Amtsgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, sofern diese außerhalb der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts liegen (§ 72 Abs. 1 GVG). Die Berufungsinstanz bei Strafsachen bilden die kleinen Strafkammern (§ 74 Abs. 3 GVG), bei Urteilen des Jugendschöffengerichts die großen und kleinen Jugendkammern (§ 33b und 41 Jugendgerichtsgesetz).

Die Strafvollstreckungskammern entscheiden über die Aussetzung der Vollstreckung von Strafen, die bereits angetreten wurden, und überprüfen die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die während des Strafvollzugs ergriffen worden sind (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GVG).

An den Landgerichten verortet sind darüber hinaus die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen, die Kammer für Wirtschaftsprüfersachen und das Niedersächsische Dienstgericht für Richter, denen jeweils die Entscheidung über Pflichtverletzungen und Dienstvergehen der entsprechenden Berufsgruppen zustehen.

Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung des Scheidungsrechtes 1977, die das Familiengericht beim Amtsgericht ansiedelte, bestand bei den Landgerichten auch eine Zuständigkeit für Scheidungen und Scheidungsfolgesachen.

Die Landgerichte werden mit einem Präsidenten sowie mit Vorsitzenden Richtern und weiteren Richtern besetzt (§ 59 Abs. 1 GVG). Die konkrete personelle Zusammensetzung der Richter variiert je nach Kammer: den Zivilkammern und Strafvollstreckungskammern sitzt in der Regel ein Einzelrichter vor, den Großen und Kleinen Strafkammern mindestens ein Einzelrichter und zwei Schöffen.


2. Amtsgerichte

Die Amtsgerichte des Landes Niedersachsen gehen größtenteils auf die großen Reichsjustizgesetze von 1879 zurück. Eine Festlegung der Sitze und Bezirke der Amtsgerichte wurde durch Verordnungen vom 26. Juli 1878 und 5. Juli 1879 vorgenommen (PreußGslg 1878 S. 280; 1879 S. 506ff.) und hatte über Jahrzehnte Bestand. Während die Amtsgerichte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder in Betrieb genommen wurden, erfuhren ihre Zuständigkeitsbereiche erst infolge der Gebiets- und Verwaltungsreform der 1970er Jahre eine Veränderung. Derzeit liegen die 80 Amtsgerichte in den Bezirken der ihnen übergeordneten elf Landgerichte, mit denen sie gemeinsam die ordentliche Gerichtsbarkeit des Landes Niedersachsen bilden.

Aufbau, Zuständigkeiten und Aufgaben der Amtsgerichte werden durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10), in den §§ 22-27 geregelt.

Innerhalb ihres jeweiligen Bezirks sind Amtsgerichte zuständig für die Verhandlung von Zivil- und Strafsachen. Bei Zivilsachen entscheiden sie in erster Instanz über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, deren Gegenstandswert 5000,- Euro nicht übersteigt (§ 23 Nr. 1 GVG). Auch werden im Rahmen von Zivilprozessen alle privatrechtlichen Streitigkeiten, die beispielsweise aus Miet- und Kaufverträgen hervorgehen, verhandelt. Mit dem Inkrafttreten der Neuregelung des Scheidungsrechts wurde 1977 das Familiengericht dem Amtsgericht angegliedert; zuvor lag die Zuständigkeit für Scheidungen und Scheidungsfolgesachen bei den Landgerichten. Des Weiteren fungieren sie bei entsprechender Sachlage als Betreuungs-, Nachlass-, Landwirtschafts-, Schifffahrts-, Vollstreckungs- und Insolvenzgerichte. Der Verfahrensablauf an Amtsgerichten wird durch die Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt.

In Strafsachen sind die Amtsgerichte zuständig für leichtere und mittlere Straftaten, d.h. für Vergehen, die eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von unter zwei Jahren erwarten lassen (§ 25 Nr. 2 GVG). Außerdem sind sie zuständig für Straftaten, die im Wege der Privatklage verfolgt werden, und für Ordnungswidrigkeiten, wenn Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid eingelegt wurde. Der Verfahrensablauf wird hierbei neben dem GVG durch die Strafprozessordnung (StPO) geregelt.

Bei Vergehen, bei denen mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis vier Jahren und keiner Unterbringung in der Psychiatrie oder in der Sicherungsverwahrung zu rechnen ist, sind Schöffengerichte zuständig. Gleiches gilt bei Straftaten, die zwar als Verbrechen klassifiziert werden, sich aber nicht gegen das Leben richten oder einem ähnlich schweren Schuldvorwurf unterliegen. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden werden Jugendschöffengerichte tätig, wobei der Jugendrichter gleichzeitig Vollstreckungsleiter ist.

Die Entscheidung bei Prozessen am Amtsgericht wird in der Regel von einem Einzelrichter als Zivil-, Familien- oder Strafrichter getroffen. Bei einem Schöffengericht kommen zwei ehrenamtliche Schöffen hinzu. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft können Amtsrichter auch als Ermittlungs- und als Haftrichter aktiv werden.

Über Zivil- und Strafsachen hinaus sind Amtsgerichte auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig. Diese dient vorrangig der Feststellung, Fortbildung und dem Schutz privater Rechtsverhältnisse und bezieht sich auf Grundbuch-, Nachlass-, Vormundschafts-, Betreuungs- oder Registerangelegenheiten (darunter Handels-, Vereins-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister). Entscheidungsbefugt sind hierbei meist Rechtspfleger. Lediglich in Fällen mit besonderer persönlicher Tragweite wird die Entscheidung von einem Richter getroffen.

Bei den Amtsgerichten besteht – mit Ausnahme bestimmter Familiensachen – kein Anwaltszwang für die Prozessteilnehmer.

Stand: 1. Juli 2015

Literatur 

Staatshandbuch: Die Bundesrepublik Deutschland. Niedersachsen. Handbuch der Landes- und Kommunalverwaltung mit Aufgabenbeschreibungen und Adressen. Köln u.a. 2014.

Landesjustizportal Niedersachsen

Bearbeiter 

Regina Schleuning (2015)