StadtA EMD IV

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Vierte Registratur

Laufzeit 

1866-1918

Bestandsdaten

Bestandsgeschichte 

Der Bestand der IV. Registratur im Stadtarchiv Emden

Stadtgeschichte Emdens, 1866 - 1918

1. Langersehnte Rückkehr der preußischen Herrschaft, Erwartungen und Enttäuschungen
Die Ära der Hannoverschen Landesherrschaft zwischen 1815 und 1866 war für Emden eine Phase der wirtschaftlichen Stagnation. Ein Indikator war die Bevölkerungszahl. Sie stieg zwischen 1815 und 1866 nur relativ leicht an (1815: 11.000; 1866: 13.000). Eine durchgreifende Industrialisierung blieb unter der Hannoverschen Herrschaft weitgehend aus. Die Strukturprobleme des Emder Hafens (Verschlammung) blieben ungelöst. Unter der Emder Bürger-schaft herrschte eine latente Unzufriedenheit mit der Hannoverschen Regierung, die sich durch eine absolutistisch zentralistische Verwaltung noch unbeliebter machte. Die Emder begannen, besonders die letzte Phase der preußischen Herrschaft zwischen 1790 und 1805 als "goldenes Zeitalter" zu glorifizieren.
Tatsächlich bildeten Emden und Ostfriesland für das regierende Haus der Welfen ein Nebenland. Der Schwerpunkt der Strukturförderung lag im welfischen Kernland, dem ehemaligen Kurfürstentum Hannover. Dennoch entstanden für Emden und Ostfriesland zwei Projekte unter Hannoverscher Herrschaft, die zukunftsweisend waren. Das war der Bau der Westbahn und der Nesserlander Schleuse. Die Westbahn stellte eine Verbindung mit dem Ruhrgebiet her und die Nesserlander Schleuse ermöglichte eine Entwicklung des Emder Hafens. Auf-grund der hohen Tarife für den Gütertransport bei Nutzung der Westbahn blieb ihr Effekt auf den Hafenumschlag in Emden gering.
Als im Juni 1866 der preußisch - österreichische Krieg um die Vorherrschaft im Deutschen Bund ausbrach, stellte sich der überwiegende Teil der Emder Bürgerschaft auf Seiten Preußens. Der Hannoversche König Georg V. verhielt sich loyal zum bisherigen Deutschen Bund. Eine Aufforderung Preußens zur Neutralität und Duldung des Durchmarsches preußischer Truppen lehnte Georg V. rundweg ab. Als Reaktion darauf marschierte die

preußische Armee bei Ausbruch des offenen Krieges sofort in das Kgr. Hannover ein. Die Hannoversche Armee, - es war keine Mobilisierung erfolgt -, leistete keinen Widerstand. Vielmehr wich König Georg V. mit seinen bewaffneten Kräften über Göttingen nach Thüringen aus. Er wollte seine Armee mit den Armeen der süddeutschen Bündnispartner vereinigen, um im Verein mit Österreich sein Stammland zurück zu erobern. Da sich die bayerische Armee nicht schnell genug nach Norden bewegte, misslang die geplante Vereinigung. Die Hannoveraner wurden eingekesselt. Auch der taktische Sieg ihrer Armee bei Langensalza am 26./27. Juni 1866 im Gefecht gegen preußische Truppen unter General Flies änderte nichts an der aussichtslosen strategischen Lage. Ohne Munition und Verpflegung musste König Georg V. mit seiner Armee am 30. Juni 1866 kapitulieren.
Georg V. ging ins Exil nach Wien. Nach der entscheidenden Niederlage der österreichischen Armee bei Königgrätz am 03. Juli 1866 schied Österreich im Vorfrieden von Nikolsburg (26. Juli 1866) und nach den Bedingungen des Friedensvertrages von Prag (23. August 1866) aus dem Deutschen Bund aus. Preußen annektierte das Kgr. Hannover, Kurhessen und die Freie Stadt Frankfurt. Damit verlor der Hannoversche König seinen Thron. Georg V. sah sein ehemaliges Reich nicht wieder.
Die preußische Besetzung vollzog sich in Emden und Ostfriesland widerstandslos. Am 17. Juni 1866 kapitulierte die Hannoversche Garnison vor preußischen Marinesoldaten vom Aviso "Loreley" und dem Kanonenboot "Tiger" im Zollhaus an der Nesserlander Schleuse.
Der Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit vollzog sich in Emden reibungslos. Die bisherige Stadtverwaltung mit Oberbürgermeister Ernst Heinrich Hantelmann, einem gebürtigen Hannoveraner, blieb im Amt. Auch an der Struktur der bisherigen kommunalen Aufsichtsbehörde, der Landdrostei in Aurich, änderte sich wenig. Sie wandelte sich zu einer kgl. preußischen Behörde.
Schon wenige Tage nach dem Einmarsch der preußischen

Truppen in Emden verfasste die Emder Bürgerschaft eine Ergebenheitsadresse an den König Wilhelm I. Sie brachte ihre Freude über die sich einbahnende Rückkehr Emdens und Ostfrieslands unter der Staatshoheit der Hohenzollernmonarchie zum Ausdruck.
Während des Winters 1866 / 67 verfassten verschiedene Bürger unter Führung der Handels-kammer eine Eingabe an die preußische Staatsregierung, in der sie das Ausscheiden Ostfrieslands aus dem Verband der nunmehrigen Provinz Hannover unter Eingliederung in die Pro-vinz Westfalen forderten. Emden sollte dadurch zum Exporthafen der Ruhrindustrie werden. Die Initiatoren versprachen sich von einer Neugliederung Nordwestdeutschlands eine Be-schleunigung des Infrastrukturausbaus (Kanalbau, Eisenbahn), der die Vernetzung mit dem Ruhrgebiet herstellte. Doch aller hochgespannten Erwartungen an die neue preußische Landesherrschaft blieben unerfüllt. Sie veränderte die vorgefundenen Verwaltungsstrukturen des annektierten Kgr. Hannover zunächst nur in der Spitze. Erst 1885 erfolgte eine Kreisreform für die Provinz. Emden war nun Stadtkreis im Regierungsbezirk Aurich. Die für die Kommunalverfassung maßgebliche Hannoversche Städteordnung von 1851 blieb in Kraft. Nach deren Bestimmungen wurden die Geschicke der Stadt vom Magistrat, einem kollegial organisiertem Gremium, das die Verwaltung regelte und dem auf Basis des Klassenwahlrechts gewählten Bürgervorsteherkollegium als Vertretung der Bürgerschaft gelenkt. An der Spitze der städti-schen Gremien stand der Bürgermeister, der nach einer gewissen Amtszeit zum Oberbürgermeister befördert werden konnte. Das Stadtoberhaupt fungierte zugleich als Leiter der Poli-zeiverwaltung. In dieser Funktion unterstand der Bürgermeister direkt dem preußischen Landdrosten bzw. ab 1885 Regierungspräsidenten in Aurich. Diese Doppelfunktion des Bürgermeisters, einerseits Leiter der Polizeiverwaltung, andererseits Chef der Kommunalverwal-tung, bedingte, dass er von den städtischen Gremien und dem Landdrosten /

Regierungspräsi-denten gemeinsam bestimmt wurde. In der Praxis schlug die Stadt der kommunalen Auf-sichtsbehörde in Aurich einen Bewerber als neuen Bürgermeister vor. Der Landdrost / Regie-rungspräsident bestätigte diesen Vorschlag.
Die erste Phase der neuen preußischen Herrschaft brachte der Emder Stadtentwicklung wenige neue Impulse. Zur Enttäuschung vieler Anhänger der neuen Herrschaft blieben die Strukturen der ehemaligen kgl. Hannoverschen Verwaltung erhalten. Diese Form der Herrschaftsor-ganisation in einer neu erworbenen Provinz war kennzeichnend für Preußen. Die preußische Monarchie war kein monolithischer Zentralstaat. Sie zeichnete sich durch ein Nebeneinander verschiedener Strukturen der einzelnen Provinzen aus.
Ab 1875 begann eine Strukturentwicklung, die in Emden tiefgreifende Veränderungen bewirkte. Den Antrieb dazu lieferte die Politik des 1871 entstandenen deutschen Kaiserreichs vor dem Hintergrund rascher Industrialisierung und des Aufbaus einer schlagkräftigen Marine unter Kaiser Wilhelm II. Dazu kam das Engagement des Oberbürgermeisters Leo Fürbringer und des Geheimen Oberregierungsrats Carl Schweckendiek als Referent im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, einem gebürtigen Emder.


2. Ära Fürbringer, 1875 - 1913
Als der aus Thüringen stammende Jurist Leo Fürbringer (*21.03.1843) im Juli 1875 als neuer Bürgermeister Emdens vereidigt wurde, begann eine 38 jährige Ära, die die Emder Stadtgeschichte prägte. Leo Fürbringer erwies sich als fähiger Verwaltungsorganisator und unermüdlicher Lobbyist. Dabei kam ihm seine Funktion als nationalliberaler Abgeordneter des Hannoverschen Provinziallandtags (1904 - 1914) und des preußischen Landtags (1907 - 1918) entgegen. Darüber hinaus wurde Fürbringer Mitglied in zahlreichen regionalen und überregionalen Verbänden, die sich mit kulturellen, maritimen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigten. So schuf er sich ein Netzwerk, das seine Karriere, u.a. die Verleihung des

Titels eines Oberbürgermeisters (1877) und die Verleihung des Charakters eines Geheimen Regierungsrats (1901), förderte.
Der erste konkrete Erfolg seiner Lobbypolitik war die Errichtung eines Telegraphenamtes. Emden wurde zum Schnittpunkt des Fernkommunikationsverkehrs zwischen dem Deutschen Reich, Großbritannien und den USA. Bei der Umsetzung dieses Projektes arbeitete der Ober-bürgermeister eng mit dem kaiserlichen Poststaatssekretär Heinrich v. Stephan zusammen. 1883 wurde der Platz vor dem neuen Telegrafenamt nach dem Staatssekretär benannt und dort eine Büste von ihm aufgestellt.
Inzwischen wurde mit der Emdener Papierfabrik die erste Industriefabrik gegründet. Sie ver-arbeitete Stroh als Rohstoff. Schon mit der Gründung dieser Fabrik wurden die Probleme der Industrialisierung sichtbar. Bei überlangen Arbeitszeiten, unzureichendem Schutzeinrichtungen und einer rigiden Arbeitsordnung erhielten die Fabrikarbeiter nur einen geringen Lohn. Eine soziale Fürsorge fehlte völlig. Dazu kamen ökologische Probleme durch Verunreinigung von Luft und Wasser.
Die weitere Industrialisierung vollzog sich parallel zum Ausbau des Emder Hafens. Hierbei spielen strategische und wirtschaftliche Aspekte der Reichspolitik eine wichtige Rolle. Der 1888 fertig gestellte Ems-Jade-Kanal sollte die Versorgung des Kriegshafens Wilhelmshaven sichern. Den entscheidenden Anstoß für die weitere Entwicklung des Emder Hafens gab der Bau des Dortmund-Ems-Kanals, der 1899 durch den Kaiser Wilhelm II feierlich eröffnet wurde. Hierbei engagierte sich auch der Oberbürgermeister Fürbringer. Unter dem Schlagwort "Neue Rheinmündung" sollte die Ems zu einer Ausgangspforte zum Export von Ruhrkohle und einer Eingangspforte zum Import von Eisenerzen aus Skandinavien werden. Um diese Funktion erfüllen zu können, musste der zwischen 1879 und 1882 im preußischen Staatsbesitz übergegangene Emder Hafen ausgebaut werden. Die Vergrößerung des Emder Hafens erfolgte bis 1901 in mehreren Phasen. Mit dem Bau des

Außenhafens, der durch die Nesserländer Schleuse mit der Ems verbunden wurde, entstand ein Areal, das den Aufbau moderner Kaianlagen und Verladeeinrichtungen ermöglichte. Zugleich wurden Dortmund-Ems-Kanal und Ems-Jade-Kanal durch die Kesselschleuse miteinander vernetzt (1887 / 1913). Als im Sommer 1902 die Emder Hafenanlagen durch den Kaiser feierlich eingeweiht wurden, war das der Höhepunkt in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Fürbringer.
Er begann, Investoren für die Ansiedlung von Industrie im Emder Hafen anzuwerben. Inves-toren aus dem Rheinland und Westfalen errichteten die Hohenzollernhütte als Stahlwerk und die Emder Brikettfabrik. Die Stadt Emden engagierte sich bei der Errichtung der Nordsee-werke als Großwerft (1903) Allerdings unterschätzten der Magistrat und private Anleger den Kapitalbedarf bei dem Aufbau einer Werft. Verschärft wurde die Lage durch den Bau der Werft während einer Wirtschaftskrise. Die Werftindustrie besaß nun Überkapazitäten, für die es kaum Aufträge gab. Schon 1907, zwei Jahre nach ihrer Eröffnung, gerieten die Nordsee-werke in Zahlungsschwierigkeiten. Immer wieder folgten Kapitalerhöhungen und Sanie-rungskonzepte, die das Engagement der Stadt Emden vergrößerten. 1909 verweigerte die Stadt Emden eine weitere Kapitalspritze. Die Nordseewerke gerieten in die Insolvenz. 1911 wurden sie durch die Deutsch-Luxemburgische Hütten- und Bergwerks AG aufgekauft. Für die Stadt Emden und ihren Oberbürgermeister endete ein verlustreiches Projekt.
Überhaupt investierte sie große Kapitalsummen bei dem notwendigen Ausbau der Infrastruktur. Dazu kamen der Bau von Arbeitersiedlungen und die Modernisierung des Kanalnetzes. Sie vergrößerten die städtische Schuldenlast.
Emden verfügte 1903 über einen modernen und leistungsfähigen Hafen. Allerdings wurde er nicht zur "deutschen Rheinmündung", d.h. zum ernsten Konkurrenten der niederländischen Häfen. Die Transportkosten für Industrieprodukte vom Ruhrgebiet nach Emden waren trotz des

Dortmund-Ems-Kanals höher als für die Route über den Rhein nach den niederländischen Umschlagshäfen. Oberbürgermeister Fürbringer versuchte durch eifrige Werbung den Emder Hafen für die Wirtschaft interessant zu machen. Traditionell war Emden Heimat der Heringsfischerei. Sie expandierte nach dem Hafenausbau.
Fürbringer versuchte auch die kaiserliche Marine für den Emder Hafen zu interessieren. Eine Bekanntschaft mit maßgeblichen Persönlichkeiten der Marineführung vermittelte ihn die Patenschaft der Stadt Emden für den kleinen Kreuzer SMS "Emden", der zu Beginn des Ersten Weltkriegs durch seine Gefechte im Indischen Ozean und seine Versenkung vor der australi-schen Küste berühmt wurde. 1912 schien mit der Stationierung des Minenschiffes SMS "Arcona" im Emder Hafen eine militärische Nutzung bevorzustehen.
Das letzte vom Oberbürgermeister Fürbringer angeschobene Projekt zur Belebung des Emder Hafens war die Einrichtung einer Auswandererlinie. Nach langen Verhandlungen mit dem Direktor des HAPAG-Lloyd, Albert Ballin, wurde in Emden eine Auswandererlinie einge-richtet. Die dafür gebaute Auswandererhalle eröffnete im April 1914 ihren Betrieb. Drei Mo-nate später brach der Erste Weltkrieg aus und machte die Hoffnungen auf einen florierenden Auswandererverkehr zunichte.
Im Sommer 1912 stellte der Oberbürgermeister Fürbringer nach 37jähriger Amtszeit den An-trag auf Versetzung in den Ruhestand. Die städtischen Gremien verabschiedeten ihn unter Verleihung der Ehrenbürgerschaft am 26.2.1913 feierlich aus dem Amt. Unter seiner Ägide war Emden zur modernen Seehafen- und Industriestadt geworden. Der Wandel drückt sich bereits in der Bevölkerungszahl aus. Sie betrug 1875 12.866 und erreicht 1913 die Zahl von 25.000 Einwohnern. Emden verfügte über eine ausgebaute städtische Struktur.
Der Wandel hin zur Industriestadt verursachte einen tiefgehenden Wandel der Bevölkerungsstruktur. Die bisher dominierende reformierte Konfession geriet in die Minderheit. Mit dem Ausbau von

Industrie und Hafen nahm die Zahl der Arbeiter zu. Sie organisierten sich in der SPD und den Gewerkschaften, die aber durch das Klassenwahlrecht keinen Eingang in die kommunalen Vertretungsgremien (Bürgervorsteherkollegium) fanden. Die Politik des Oberbürgermeisters zielte auf die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen den einzelnen gesellschaftlichen und konfessionellen Gruppen ab. Im Stadtbild wird dieses Bestreben durch die Festlegung verschiedener Wohnviertel für Arbeiter (Arbeitersiedlungen Transvaal und Friesland) sichtbar. Energisch ging der Oberbürgermeister gegen offenen Antisemitismus vor, der den konfessionellen Frieden gefährdete. Dass er die religiösen Minderheiten als integralen Bestandteil der Emder Bürgerschaft sah, demonstrierte er durch seine Rede bei der Einwei-hung der erweiterten Synagoge (1910). Die Organisation des Gemeinwesens nach getrennten Klassen drückte sich augenfällig im Bildungssystem aus. In der Fürbringer-Ära erfuhr der Schulbereich eine große Differenzierung. Die gravierendste Veränderung im Schulwesen ge-genüber der Situation vor 1875 ist die Kommunalisierung des Volksschulwesens. Die Kirchengemeinden verloren ihre Schulzuständigkeit, behielten aber einen großen Einfluss auf die Volksschule als Schule für die Kinder der Arbeiter und des Kleinbürgertums. In die städtische Zuständigkeit fiel die Verwaltung und Organisation der Höheren Töchterschule, ab Januar 1905 Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule. Aus der höheren Bürgerschule entwickelte sich die Kaiser-Friedrich-Schule, ein Realgymnasium. Die beiden genannten Schulen wurden von Kindern des höheren Bürgertums besucht. Das Wilhelms-Gymnasium als klassisches Gymna-sium blieb die Domäne des Großbürgertums. Zwischen 1880 und 1914 entstand neben den allgemeinbildenden Schulen ein differenziertes Berufsschulsystem, das von der Navigationsschule bis zur Gewerbeschule reichte.
Die Differenzierung des Bildungssystems ist Teil der Anpassung der Emder Stadtgesellschaft an die

Bedingungen der Industrialisierung. Allerdings führte sie vor dem Hintergrund des wilhelminischen Staates nicht zu einer Demokratisierung. In Emden behaupteten sich die tra-ditionellen oligarchischen Strukturen.
Am Ende der Fürbringer-Ära präsentierte sich Emden einerseits als dynamische, moderne Seehafen- und Industriestadt, andererseits als oligarchisch regierte Stadt mit vorindustriellen Strukturen.

3. Erste Phase der Amtszeit des Bürgermeisters Dr. Wilhelm Mützelburg unter dem Vorzeichen des Ersten Weltkriegs, 1913 - 1918
Am 26. November 1912 wählten die städtischen Gremien den Bürgermeister von Uelzen, Dr. Wilhelm Mützelburg (*01.10.1877) zum Nachfolger von Oberbürgermeister Leo Fürbringer. Per Allerhöchstem Erlass bestätigte Kaiser Wilhelm II. die Wahl, so dass Mützelburg das Amt des Bürgermeisters von Emden (Beförderung zum Oberbürgermeister 1921) am 01. März 1913 antreten konnte. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte Mützelburg das von Fürbringer begonnene Projekt der Einrichtung einer Auswandererlinie beenden. 1913 erfolgte die zweite große Erweiterung des Emder Hafens mit dem Bau einer neuen Schleuse, der Großen Seeschleuse.
Im August 1914 wurde Dr. Mützelburg als Reserveoffizier in das Heer eingezogen. Er nahm bis zu seiner Verwundung 1916 an den Kämpfen in Ostpreußen und Russisch-Polen teil. Bis zu seiner Rückkehr nach Emden wegen der durch seine Verwundung verursachten dauernden Kriegsdienstunfähigkeit wurde er durch seinen Vorgänger, Oberbürgermeister Fürbringer, kommissarisch vertreten. Er leitete den Übergang zur Kriegswirtschaft ein. Bis 1916 entstand ein komplexes System der Rationierung von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs, das eine Verwaltung des immer größer werdenden Mangels war. Im Emder Hafen hörte der Handelsverkehr auf. Er wurde zum militärischen Sperrgebiet. Die Nordseewerke bauten U-Boote für die Kriegsmarine. Im Sommer 1916 übernahm Dr. Mützelburg wieder sein Amt. Bis zum Beginn der Novemberrevolution 1918

führten die immer höher werdenden Kriegsopferzahlen und die desolate Versorgungslage (Kohlrübenwinter 1916/17) zu einer großen Kriegsmüdigkeit.
Die Novemberrevolution von 1918 leitete am Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs eine neue Epoche ein.

Bestandstektonik
Der Bestand der IV. Registratur umfasst 45 lfde. Meter. Er besteht aus Schriftgut der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert und des frühen 20. Jahrhunderts. Voneinander unterscheiden lassen sich Amtsbücher, allgemeine Sachakten und Einzelfallakten.
Der Bestand der IV. Registratur spiegelt die Organisation der Emder Stadtverwaltung zwi-schen 1866 und 1918 wider. Seine Struktur basiert auf einem Aktenplan, der aus der Hanno-verschen Zeit fortgeschrieben wurde (Hannoversches Dezimalschema). Dieser Aktenplan basierte auf eine numerische und sachgruppenbezogene Ordnung, die sich als sehr ausbaufähig erwies.
Die dem Plan zugrunde liegenden Hauptsachgruppen wurden mit römischen Zahlen gekennzeichnet. Ihre Titel sind:folgende:

I. Stadtverfassung
II. Geschäftsführung Ratsgremien und Verwaltungsorganisation
III. Hoheitssachen Beziehung zur Landesherrschaft
IV. Verwaltungspolizei Aufgabenbereiche der Stadtverwaltung
V. Domanialsachen Städt. Grundbesitz in den ehemaligen Herrlichkeiten
VI. Steuersachen Finanzverwaltung: Steuern und Abgaben
VII. Militärsachen
VIII. Kämmereisachen Finanzverwaltung: Abgaben, städtisches Vermögen
IX. Konsistorialia Aufsicht über Kirchen und Schulen
X. Nesserland Gemeinde Nesserland, 1910 aufgelöst
XI. Stadtausschuss des Stadtkreises Emden

Der Registrator, später Kämmerer Ernst August Gebest organisierte das Verwaltungsschrift-gut nach den Gesichtspunkten des beschriebenen Aktenplans.
Die Emder Stadtverwaltung war bis 1914 noch nicht nach städtischen Ämtern gegliedert. Kämmerei und Bauamt waren die ersten Abteilungen, die bereits vor dem I. Weltkrieg Züge eigenständiger Ämter annahmen. Sie bildeten jedoch keine eigenständigen Registraturen.

Vielmehr gliederten sie ihr Schriftgut nach dem zentralen Aktenplan und gaben es nach der Bearbeitung an die zentrale Registratur. Dasselbe Verfahren kam bei den Aktenbeständen der Kriegsämter, Lebensmittelamt und Wirtschaftsamt, zur Anwendung.
In der Folge entstand ein sehr heterogener Bestand, der die zunehmende Komplexität der Em-der Stadtverwaltung im wilhelminischen Kaiserreich abbildet. Er zeigt aber auch die Grenzen eines zentralen Aktenplans auf. Einige Sachbereiche waren nur mit Mühe in den Plan ein-zugliedern. Es entstanden strukturelle Verwerfungen, die eine Recherche oder eine Suche nach bestimmten Akten erschwerten.
Die Akten der IV. Registratur bestehen aus Papier als Beschreibstoff. Zum Teil wurden sie durch preußische Fadenheftung gebunden. Etwa 30 % der Akten blieben ungebunden. Die Stadt Emden unterhielt keine eigene Buchbinderei. Aktenbindungen wurden von Zeit zu Zeit nach Maßgabe der Haushaltslage vergeben. Die Organisation von Schriftgut im losen Akten-deckel ist nicht unproblematisch. Es drohen Verluste von Einzelblättern und damit von wich-tigen Informationen.
Die Provenienzstelle der Akten der IV. Registratur ist der Magistrat der Stadt Emden. Um eine Abgrenzung zum Schriftgut früherer Epochen vorzunehmen, wurde das Jahr 1866 gewählt. Als zweites Grenzjahr definierte die Registratur das Jahr 1918.
Bis Mitte der 1930er Jahre blieben die Akten der Fürbringerära in der städtischen Hauptregistratur. Der Archivar Dr. Louis Hahn übernahm den gesamten Aktenbestand ohne eine Bewer-tung und begann mit ersten Ordnungsarbeiten. Eine archivische Erschließung konnte vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erfolgen. Während des Krieges wurden die Ak-ten des Bestandes wegen der akuten Gefährdung durch Luftangriffe in ein Salzbergwerk in Südostniedersachsen verlagert. Von hier kehrten sie im Sommer 1945 im guten Zustand nach Emden zurück. 1958 fertigte Stadtarchivar Dr. Schöningh ein Findbuch des Bestandes an, das bisher maßgebend war.

Schöningh verzeichnete die Akten auf der Basis des Hannoverschen Aktenplans. Er legte die Akten nach ihrem Aktenzeichen und nicht nach einem Numerus Currens an. Da nicht alle Thematiken des Aktenplans mit Akten zu belegen bzw. diese verloren gegangen waren, entstanden im Findbuch leere Themenbereiche. So entstand ein Findbuch, das für gezielte Recherchen nur bedingt einsetzbar ist.
Für die Aufnahme der IV. Registratur in die Datenbank iznAIDA musste eine Neuerschließung des Bestandes erfolgen. Ein Numerus Currens war zu erstellen. Die sachthematische Gliederung lehnt sich zwar an den Hannoverschen Aktenplan an, aber durch moderne Be-zeichnungen der Themenbereiche entstand das vorliegende Findbuch nach einem modifizie-ren Ordnungssystem.

Verzeichnis der Akten der Vierten Registratur in iznAIDA
iznAIDA ist eine Datenbank, die die Verzeichnung eines Bestandes nach sachthematischer Ordnung unter Erstellung eines Indexes ermöglicht. Die eingegebenen Daten können als Findbuch editiert werden. Das vorliegende Findbuch besteht aus folgenden Elementen

1. Sachthematische Ordnung
Der Bestand wird nach in den Akten benannten thematischen Zusammenhängen geordnet. Jede dieser Themen bekommt eine inhaltliche Kennzahl, nach der die Datenbank die Einzel-akten zuordnet.


2. Verzeichnete Einzelakte
Die Einzelakte erhält zunächst eine laufende Signatur (Bestellnummer). Dann erfolgt die An-gabe des Aktentitels mit inhaltlichen Enthältvermerken. Diese Vermerke werden indiziert. Sie informieren kurz über den Akteninhalt und orientieren sich nach den Betreff-Einheiten.

3. Indexe
Die Indizierung soll einen gezielten Zugang zu den Bestandsakten der IV. Registratur nach thematischen Fragestellungen ermöglichen. Vier Indexarten sollen die Recherche erleichtern:

1. Geografischer Index
2. Institutionsindex
3. Personenindex
4. Sachindex

Die Indexbegriffe verweisen auf eine vom Datenbanksystem vergebene laufende Nummer unter der die betreffende Akte verzeichnet ist. Sie kann unter der

fett hervorgehobenen Bestellnummer zur Benutzung geordert werden.


Literatur

Zeitgenössische Abhandlungen zur Fürbringer-Ära

Fürbringer, Leo:
Die Stadt Emden in Gegenwart und Vergangenheit, .Emden 1892.

Fürbringer, Leo:
Zweck, Bedeutung und Erweiterung des Emder Hafens. Ein Vortrag, gehalten von Oberbür-germeister Fürbringer - Emden auf der Wanderversammlung des Zentralvereins für Fluss- und Kanalschiffahrt im großen Saale des Rathauses zu Emden am 11. Juni 1904, in: Beilage zur Rhein-Ems-Zeitung, Emden 1904

Leber, E.:
Die Emdener Hafenanlage: Sonder-Abdruck aus der Zeitschrift "Stahl und Eisen", Nr. 9, Düs-seldorf, 1906

Reinke, W.:
Plan der Stadt Emden mit der projektierten Hafenerweiterung; Emden. 1888

Schultz, H. L.:
"Nordseewerke" Emder Werft und Dock Aktien-Gesellschaft (Gründungsbericht), Emden, 1906.

Schweckendieck, Carl
Der Hafen von Emden: Festschrift zur Eröffnung des neuen Emder Seehafens durch seine Majestät den Kaiser und König Wilhelm II. im August 1901(verschoben auf den 30. Juli 1902), Berlin 1901.

Stadt Emden:
Der Emsstrom und der Seehafen von Emden, kartographische Darstellung der Unter-Ems, der geplanten Correction der Ems im Baukreise Emden und des für die Emsmündungen projectir-ten Leitfeuer-Systems, ferner der Hafenanlagen der Stadt Emden mit der neuen Seeschleuse und der daselbst projectirten neuen Verkehrs-Anlagen und Hafen-Einrichtungen in 6 li-thographirten Tafeln mit vorgedrucktem Inhaltsverzeichnisse auf Grund amtlicher Quellen und beglaubigter Originalkarten, Berlin 1883/4


Allgemeine Abhandlungen

Claudi, Marianne, Claudi, Reinhard:
Goldene und andere Zeiten, Emden - Stadt in Ostfriesland, Emden 1982,

Deeters, Walter; Schroer, Bernard, Siebert, Ernst:
Geschichte der Stadt Emden 1750 bis zur Gegenwart, in: Niederemsische Deichacht - Deich-acht Krummhörn [Hrsg.]:. Ostfriesland im Schutze des Deiches: Beiträge zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des Ostfriesischen Küstenlandes; Band 7, Leer 1980

Eichhorn, Helmut
Emden -

Zur Geschichte der Ostfriesischen Seehafenstadt, Emden, 1972

Uphoff, Rolf
Emden. Historische Stationen in der ostfriesischen Metropole; darin:
Thorsten Harms, Topographie der Stadt Emden..
Fokke Müller: Von Berlin über Paris nach Emden: ein Beitrag zur Geschichte der Denkmäler des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen.
Axel von Schack: Die Heringsfischerei in der Fürbringer Ära.
Aiko Schmidt: Die Emder Papier- oder Strohpapierfabrik: ein Beispiel der frühen Industrali-sierungsphase in Emden.
Rolf Uphoff, Emden-Transvaal: ein Stadtteil als Arbeiterdomizil in der Wilhelminischen Zeit, Rolf Uphoff [Hrsg.].: (Schriftenreihe des Stadtarchivs Emden; Band 5), Horb am Neckar, 2009,


Specialia

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Buß, Jan Eve:
Wandlungen der Emder Wirtschaftsstrukturen während der "Ära Fürbringer" 1875 - 1914, Emden 1978

Hapag-Lloyd AG Hamburg:
1847-1997 Unser Feld ist die Welt. 150 Jahre Hapag-Lloyd; darin: Emder
Verkehrsgesellschaft AG (EVAG), Hamburg 1997,

Harms, Knut:
Geschichte der Emder Verkehrsgesellschaft AG (EVAG) Internetausdruck., Emden, 2004

Henkel, Henry:
Industrialisierung und Umweltverschmutzung aus historischer Sicht. Der Fall "Emdener Pa-pierfabrik und die Verschmutzung des "Hinter Tiefs" 1873 - 1887 ; 1979

Janßen, Dietrich; :
Emder Straßenbahn, 2. Auflage, Emden 2010

Müller, Annemarie:
Emdens Seeschiffahrt und Seehandel von der Besitzergreifung Ostfrieslands durch Preußen bis zur Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals 1744 - 1899, Lübeck 1930

Peters, Dirk J.:
Die Nordseewerke 1903 - 2003. Von den Nordseewerken Emder Werft und Dock Aktienge-sellschaft zu den Nordseewerken. Hundert Jahre industrieller Schiffbau in Emden, Nordsee-werke GmbH [Hrsg.]., Emden 2003

Schack, Axel von:
Arbeit alleine, da wirst nicht satt! Zur Sozialgeschichte der Stadt Emden 1848 - 1914, Bre-men 1994.

Sonntag, Johannes-Hendrik:
Heimathafen Emden. Die Geschichte der Emder Heringsfischereigesellschaften in vier Jahrhunderten, Emden, 1998

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen 

Abgeschlossen: ja

vollständig verzeichnet