StadtA GOE B 34

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

B 34 - KGL - Kriegsgefangenenlager

Bestandsdaten

Geschichte des Bestandsbildners 

Zu Beginn des 1. Weltkrieges - im Oktober 1914 - errichtete die Heeresverwaltung ein Kriegsgefangenenlager neben dem Exerzierplatz unterhalb des Lohberges. In 89 Baracken wurden bis zu 10.000 Kriegsgefangene untergebracht; die letzten verließen das Lager 1920/1921.

Anfang 1916 wurde von der Berliner Regierung eine Propagandakampagne initiiert mit dem Ziel, flämische Kriegsgefangene für ein deutschfreundliches, nationalistisches Programm zu mobilisieren. Der in diesem Jahr eingeleitete offensivere Kurs in der Flamenpolitik führte u.a. zur Einrichtung eines Flamenlagers in Göttingen, wo bereits seit Kriegsbeginn eine von privater Seite initiierte intensive Betreuung der flämischen Kriegsgefangenen stattfand. Der Göttinger Theologieprofessor Carl Stange organisierte in Zusammenarbeit mit der Lagerkommandantur die Gefangenenfürsorge, deren vorrangiges Ziel es war, den Lagerinsassen Lektüre, Weiterbildung, Unterricht und Unterhaltung zu bieten. Nachdem die wallonischen Gefangenen die französischsprachige Lagerzeitung "Le camp de Goettingen" herausgegeben hatten, erschien kurz darauf im März 1915 das von den flämischen Gefangenen redaktionell betreute Blatt "Onze Taal" ("Unsere Sprache"). Die Position der Flamen im Nachkriegsbelgien sollte nach Auffassung der Redaktion eine "Existenz unter eigener niederländischer Verwaltung und eigener niederländischer Sprache ermöglichen." Schon bald rückte die Lagerzeitung "Onze Taal" in den Mittelpunkt des von der Lagerleitung inszenierten "Aufklärungsprogramms". Das Konzept der Gefangenenpropaganda bestand u.a. darin, die Flamen - in diesem Fall vorrangig die intellektuell gebildeten Kreise im Lager - in die Propagandaarbeit einzubeziehen. Im Mai wurde Prof. Stange vom Kriegsministerium beauftragt, in eigener Verantwortung die Aufklärungsarbeit unter den Flamen zu organisieren.

Um die ohnehin schon engen Beziehungen zwischen Deutschen und Flamen vor allem im kulturellen Bereich weiter zu vertiefen, genehmigte die Besatzungsverwaltung im April 1916 den Plan, alle akademisch gebildeten Flamen im Lager Göttingen zusammenzuführen. Der seit November 1916 im Lager etablierte "Fürsorgeausschuß" unter Leitung von Prof. Stange organisierte u.a. Theater- und Filmvorstellungen und verwaltetete die Lagerbibliothek. Zu den Aufgaben der Fürsorgeabteilung zählte darüberhinaus auch die Beschaffung aktueller politischer Zeitschriften und Broschüren zur Verteilung an die kriegsgefangenen Flamen. Des weiteren wurden den internierten Flamen seit Sommer 1916 Unterrichtsprogramme auf Gymnasialniveau sowie Vorlesungen Göttinger Hochschulprofessoren geboten [vgl. dazu: Winfried Dolderer, Deutscher Imperialismus und belgischer Nationalitätenkonflikt. Die Rezeption der Flamenfrage in der deutschen Öffentlichkeit und deutsch-flämische Kontakte 1890-1920, Melsungen 1989, S. 168-182].

Nach Kriegsende führte die angespannte Wohnungslage zur Umwandlung des Kriegsgefangenenlagers in die Wohnsiedlung "Ebertal". Die ersten Familien bezogen die zu Wohnungen umgebauten Baracken, während noch einige ehemalige Kriegsgefangene dort lebten. Für die Umstrukturierung der Siedlung wurden vereinzelt Baracken zur Gewinnung freier Flächen abgerissen, die anderen wurden zerlegt, und aus den alten Baustoffen errichtete man unterkellerte, isolierte Fachwerkhäuser. In der Wohnsiedlung fanden 349 Familien ein neues Heim. Das Aussehen der sanierten und infrastrukturell voll ausgestatteten Siedlung unterschied sich aufgrund der beibehaltenen Bretterverschalung und der mit Teerpappe belegten Dächer nicht von dem des ehemaligen Lagers. Doch durch die Einrichtung von Gärten und Ställen sowie durch die entstehenden sozialen Kontakte bekam die Kolonie einen ländlichen Charakter. So entwickelte sich die für ärmere Bevölkerungsschichten konzipierte Siedlung in den 30er Jahren zu einem begehrten Wohngebiet.

Die weitere Entwicklung der Siedlung "Ebertal": Infolge der Bebauung der Görlitzer und Breslauer Straße büßte die Siedlung in den 1950er Jahren ihre Sonderlage ein - der ländliche Charakter ging verloren. Aufgrund einer kommunalpolitischen Initiative Ende der 1950er Jahre wurde die irrtümlich als Flüchtlingslager betrachtete Wohnsiedlung dem Barackenräumungsprogramm der BRD angeschlossen - die dafür bewilligten Mittel nutzte man für eine Flächensanierung des Ebertals. Obwohl für eine Sanierung keine eindeutige Notwendigkeit bestand, wurde 1963 mit dem Bau des ersten Wohnblocks begonnen. Die Wohnkolonie "Ebertal" wurde durch eine Neubausiedlung ersetzt.

Göttingen, im Januar 2004

Bestandsgeschichte 

Der Bestand "Kriegsgefangenenlager Göttingen" wurde am 16. August 1918 von Prof. Dr. Carl Stange - dem ehemaligen Leiter der Fürsorgeabteilung des Lagers - dem Stadtarchiv Göttingen übergeben.

Drei Postkarten "Kriegsgefangenensendung" - davon eine mit Foto - wurden am 26. Juni 2019 hinzugefügt (Acc.-Nr. 2313/2019)

Literatur 

Ausstellungskatalog zu Maurice Langaskens, 1884-1946. Redactie Monografie: Jan Dewilde en Annick Vandenbilcke, Snoeck 2003 [Anm.: Der Katalog enthält auch zahlreiche Bilder des flämischen Malers, die im Kriegsgefangenenlager Göttingen entstanden sind oder Lagermotive wiedergeben] [Signatur: B 543]

Dolderer, Winfried: Deutscher Imperialismus und belgischer Nationalitätenkonflikt. Die Rezeption der Flamenfrage in der deutschen Öffentlichkeit und deutsch-flämische Kontakte 1890 - 1920 (= Kasseler Forschungen zur Zeitgeschichte 7), 1989 [zu Göttingen siehe S. 168-182] [Signatur: A 597]

Mirwald, Christa: Ausländer in Göttingen - von 1914 bis heute. Kriegsgefangene des Lagers Ebertal. In: 100 Jahre Göttingen und sein Museum, Texte und Materialien zur Ausstellung im Städtischen Museum, Göttingen 1989 [Signatur: A 576]

Paine, Norton: Die Geschichte der Siedlung Ebertal / Himmelsbreite: Ihre Entstehung, Entwicklung und Sanierung aus der Sicht von Bewohnern, Fachleuten und der Göttinger Bevölkerung, Magisterarbeit, Göttingen 1978 [Signatur: III B 325]

Paine, Norton: Die Siedlung Ebertal / Himmelsbreite in Göttingen. In: Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V. (Hrsg.), Göttinger Jahrbuch 1983, S. 183-216, Göttingen 1983 [Signatur: Z 25/1983]

Pöppinghege, Rainer: Das Kriegsgefangenenlager Ebertal als Zentrum flämischer Propaganda im Ersten Weltkrieg. In: Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V. (Hrsg.), Göttinger Jahrbuch 2003, S. 49-60, Göttingen 2003 [Signatur: Z 25/2003]

Stange, Carl: Das Gefangenenlager in Göttingen, Göttingen 1915, 37 S. [Signatur: III O 9]

Siehe

Korrespondierende Archivalien 

Zu dem Umbau des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers zur Wohnsiedlung "Ebertal" liegen rund 85 Pläne vor, die den Zeitraum von 1915 bis 1935 darstellen. Sie erhielten die Bestandssignatur VII/65 10 94. Die thematische Gliederung ist dem Inhaltsverzeichnis zu entnehmen. Das vorliegende Schriftgut zu dem Projekt "Ebertal" ist u. a. im Bestand "Stadtbauamt" Abteilung I, Fach 19 Nr. 33 (6 Bde.) und im Bestand "Liegenschaftsamt" (Abgabe III vom 15. Dezember 19176 / Acc. Nr. 347/76) zu finden.

[Karten/Pläne: siehe hierzu Signaturen VII/61 f III 1, VII/66 h III 1, IX-1]

Weitere Angaben (Bestand)

Umfang in lfd. M. 

3,5 m

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen 

Der Bestand wurde mit Hilfe des EDV-Archivprogramms "AIDA" erschlossen. Die Datensätze dieses Bestandes wurden im Mai 2015 von AIDA in die nunmehr verwendete Archivsoftware "Arcinsys" übertragen.