
Identifikation (kurz)
Titel
Entnazifizierung (E-Akten)
Laufzeit
1912-1976
Bestandsdaten
Geschichte des Bestandsbildners
Entnazifizierung im Lande Niedersachsen
Die Entnazifizierung wurde durch die "Dreimächtekonferenz von Berlin", die vom 7. Juli bis 2. August 1945 tagte, beschlossen. Alle Mitglieder der NSDAP, die mehr als nominelle Mitglieder waren und alle Personen, die den Zielen der Alliierten feindlich gegenüber standen, sollten aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern sowie aus verantwortlichen Stellungen der wichtigen Privatunternehmen entfernt werden.
Die Briten kamen mit klaren Entnazifizierungsvorstellungen nach Deutschland. Sie forderten scharfe Maßnahmen, die teils durchgeführt wurden, teils nicht zu realisieren waren. Die Entfernung von Parteigenossen konnte zwar schnell geschehen, aber Ersatz für diese Personen war kaum zu beschaffen, denn es gab nur wenige Nicht-Parteimitglieder, die über die notwendigen Fachkenntnisse verfügten. So kam es zu einer unterschiedlichen Durchführung der Entnazifizierung nicht nur in den vier Besatzungszonen, sondern auch innerhalb der britischen Zone.
Im Herbst 1945, als die ersten chaotischen Nachkriegsverhältnisse überwunden waren, kam die Entnazifizierung langsam in Bewegung. Im Lande Niedersachsen begann die Entnazifizierung mit der Verteilung von Fragebögen an alle Personen, die mehr als eine "untergeordnete" Stellung innehatten. Für die Bearbeitung der Fragebögen war die "Public Safety Special Branch" zuständig, die bei allen Dienststellen der Militärregierung auf Kreis-, Regierungs- und Provinzebene eingerichtet wurde. Schon bald stellte sich heraus, daß eine genaue Überprüfung der verdächtigen Personen nur aufgrund der Angaben im Fragebogen nicht möglich war. Die Militärregierung hielt es daher für ratsam, die Deutschen allerdings nur als Berater an der Entnazifizierung zu beteiligen; man brauchte sie wegen ihrer Kenntnisse über die Zustände im Dritten Reich. So wurden im Frühjahr 1946 die ersten deutschen Entnazifizierungsausschüsse gebildet. Diese Ausschüsse durften keine Untersuchungen anstellen, sondern nur aufgrund der Angaben in den Fragebögen und ihrer persönlichen Kenntnisse Ratschläge geben, an die die Militärregierung nicht gebunden war (Zonen-Instruktion Nr. 3 vom 17. Januar 1946). In jeder Stadt und in jedem Kreis sollte ein Entnazifizierungs-Hauptausschuß mit Unter- bzw. Sonderausschüssen (z. B. für Polizei, Ärzte, Lehrer, Juristen) gebildet werden. Berufungs-Ausschüsse gab es in Braunschweig, die auch für die Landkreise zuständig waren. Alle diese Ausschüsse hatten zu prüfen, wer in seinem Amt zu belassen oder zu entlassen war und wer eingestellt werden durfte oder nicht.
Die ausgefüllten Fragebögen wurden beim Haupt- oder Unterausschuß abgegeben, wo sie numeriert und registriert wurden. Dazu kam noch die Angabe über die Berufsgruppe, zu der die Person gehörte. Für die Berufsgruppen gab es Abkürzungen wie POL. für Police, AD: Administration oder ED: Education. Die Fragebögen und Karteien trugen dann Signaturen wie z. B. BwK/GSLR/LK/53/ED/17 d. h.: es handelte sich um einen Fragebogen aus dem Landkreis Goslar im Regierungsbezirk Braunschweig, es war der 53. Fragebogen, der dort eingegangen war und der 17. der Gruppe Erziehung. Nun gingen die Fragebögen an die Ausschußmitglieder, die sich bei ihrer Beurteilung an die Antworten im Fragebogen und an die Bewertung durch den Unterausschuß zu halten hatten. War der Ausschuß nicht einig über die Bewertung, so wurden die gesamten Unterlagen der Militärregierung übergeben, die die Entscheidung fällte und dann die Akten an den Haupt-Ausschuß zurückgab. Der Betroffene konnte keinen Rechtsanwalt in Anspruch nehmen; dies war nur bei den Berufungsausschüssen erlaubt.
Am 7. März 1947 wurde die dritte und endgültige Zonen-Exekutiv-Anweisung Nr. 3 herausgegeben. Die deutschen Ausschüsse sollten jetzt nicht nur entnazifizieren, sondern auch kategorisieren. Bei der Entnazifizierung hatten sie weiterhin nur eine beratende Funktion und empfahlen der Militärregierung die Entlassung bzw. Belassung von Personen in ihren Ämtern.
Dagegen erhielten sie von nun an bei der Kategorisierung eine ausführende Funktion: sie sollten jetzt die einzelnen Personen in die Kategorien III - V einstufen:
- Kategorie III: Geringe Übeltäter (Bewegungsbeschränkung, Anstellungsbeschränkung, reduzierte Renten- und Pensionszahlung, Sperre des Vermögens und der Konten, Absprache des passiven Wahlrechts).
- Kategorie IV: Anhänger (Bewegungsbeschränkung, Absprache des passiven Wahlrechts, evtl. Sperre des Vermögens und der Konten).
- Kategorie V: Entlastete (keinerlei Sanktionen).
Alle Personen der Kateg. III - IV erhielten einen Einreihungsbescheid und mußten sich bei der Polizei registrieren lassen, wo sie polizeiliche Meldebücher erhielten. Personen der Kateg. V erhielten einen Entlastungsschein. Die Einreihung in die Kategorien III - V unterlag nicht der Zustimmung der Besatzungsbehörde, nur die Kateg. I (Verbrecher) und II (Übeltäter) blieben der Militärregierung vorbehalten.
Die Überprüfung der Internierten fand in den Lagern statt. Bei ihrer Entlassung erhielten sie eine Bescheinigung, in der die Kategorie, in der sie eingestuft und die Beschränkungen, denen sie unterworfen waren, eingetragen wurden. Mit dieser Bescheinigung mußten sie sich bei der Polizei ihres Heimatortes melden und registrieren lassen.
Kriegsgefangene unterlagen im allgemeinen den gleichen Entnazifizierungsbestimmungen wie alle übrigen Personen. Eine Ausnahme bildeten die "weißen" Kriegsgefangenen. Es handelte sich hier um Gefangene, die in England besonders politisch geschult und geprüft waren und ab September 1946 als "aktive Demokraten" nach Deutschland entlassen wurden. Sie waren alle in Kateg. V eingestuft worden.
Die seit Mitte April 1947 eingeführte Kategorisierung war der erste Schritt auf dem Wege, deutschen Behörden die Verantwortung für die Entnazifizierung zu übertragen. Am 1. Oktober 1947 erließ die Militärregierung die Verordnung 110 betr. die Übertragung der Entnazifizierungsaufgaben in deutsche Hände. In jedem Land sollte ein Minister bestimmt werden, der für die Entnazifizierung verantwortlich war. Im Dezember 1947 stellten die Ausschüsse ihre Tätigkeit gößtenteils ein.
Am 30. März 1948 erließ der Niedersächsische Minister für die Entnazifizierung Dr. Hofmeister die "Verordnung über das Verfahren zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen."
Im Juli 1948 konnten die neuen deutschen Ausschüsse mit ihrer Arbeit beginnen. Die Verfahrensakten der Militärregierung wurden nun von ihnen als Vorakten von Fall zu Fall angefordert und mit den neu gebildeten Akten vereinigt, schließlich in ihrer Gesamtheit übernommen. Ende März 1949 stellten die Haupt-, Unter- und Sonderausschüsse ihre Tätigkeit ein. Die Akten wurden dem Hauptausschuß beim öffentl. Kläger in Braunschweig übergeben. Es ging jetzt nicht mehr um die Entlassung von Personen, sondern um die Wiedereinstellung von Beamten und die Wiederzulassung von Gewerbebetrieben.
Die Entnazifizierung im Lande Niedersachsen wurde durch das Gesetz vom 18. Dezember 1951 abgeschlossen. Dieses Gesetz bestimmte auch, daß "die Entnazifizierungs-Akten nach dem 31. Mai 1952 bei den Staatsarchiven zu verwahren sind."
Stand: Dezember 1988 (mit Ergänzungen 2001 und 2014)
Bestandsgeschichte
1. Übernahme der E-Akten in das Staatsarchiv
Zunächst sind die beim öffentlichen Kläger für die Entnazifizierung im Verwaltungsbezirk Braunschweig erwachsenen Akten gemäß den Erlassen des Herrn Niedersächsischen Ministerpräsidenten - Staatskanzlei - I/4 Nr. 1259/52 vom 6. Februar 1952 und 4025/52 vom 28. Mai 1952 am 30. Mai 1952 vom Staatsarchiv übernommen worden. In den folgenden Jahren erfolgten weitere Abgaben von verschiedenen Provinzstellen, die im Archivalienzugangsbuch unter folgenden Nummern verzeichnet sind: 1/54, 7/54, 12/54, 16/54, 1/55, bis 4/55, 6/55 bis 8/55, 15/55, 18/55, 6/56 bis 13/56, 16/56, 23/56, 24/56, 28/56, 39/56, 17/57, 41/57, 9/58, 20/61, 8/63, 13/63 und 40/64.
Der Erhaltungszustand der E-Akten ist besorgniserregend. Minderwertiges Papier, nachlässiges und wiederholtes Lochen, verrostete Eisenklammern, die bei der Verzeichnung entfernt worden sind, sowie verknöllte Blätter usw. haben zu diesem Zustand geführt. Hinzu kommt, daß die Akten nicht aus Schriftstücken gleichen Formats bestehen, sondern neben DIN A4 auch DIN A5-Formate enthalten, die in der Mitte eingeheftet den einzelnen Aktenband unförmig werden lassen. Die Beschädigungen sind am schlimmsten bei jenen Akten, die ungeordnet in Bündeln übergeben wurden.
Sämtliche vom Staatsarchiv übernommenen Entnazifizierungsakten sind im Bestand 3 Nds vereinigt und im vorliegenden Findbuch verzeichnet. Es handelt sich um ca. 90.000 Vorgänge aus der Zeit von 1945 - 1952.
2. Gliederung des Bestandes
Der gesamte Bestand ist im Staatsarchiv in zwei Hauptabteilungen gegliedert worden:
1. Akten der Dienststellenverwaltung und Allgemeines
2. Akten der Aufgabenverwaltung
Die Hauptabteilung 1 erfaßt Gesetze und Verordnungen, Personalangelegenheiten, Haushalts- und Geschäftsbedürfnisse sowie verschiedene Dienststellenangelegenheiten.
Innerhalb der 2. Hauptabteilung wurden drei große Gruppen gebildet:
a) Die Akten des deutschen Entnazifizierungs-Hauptausschusses beim öffentlichen Kläger für den Regierungsbezirk Braunschweig (2.0). Sie wurden bei der Klassifizierung den anderen Akten vorausgestellt, weil sie mit rund 2.300 Leitz-Ordnern den wichtigsten und umfangreichsten Teil des Bestandes bilden.
Ende März 1949 sind die verschiedenen Ausschüsse in den braunschweigischen Städten und Kreisen aufgelöst und ihre sämtlichen Akten an den neu gegründeten Hauptausschuß in Braunschweig abgegeben worden. Da nach dem 30. März 1949 nur noch eine Geschäftsstelle beim Hauptausschuß des öffentlichen Klägers bestand, gab es dementsprechend danach lediglich eine einzige Registratur für den gesamten Regierungsbezirk. Von dieser Registratur sind viele Verfahrensakten der früheren Ausschüsse mit den Akten des Hauptausschusses unterschiedslos zusammengefaßt worden. Die vor 1949 übliche Klassifizierung nach geographischen (nach Städten und Kreisen) oder sachlichen (nach Berufen bzw. Betriebe) Gesichtspunkten fand nicht mehr statt. Stattdessen sind diese neu gebildeten VE-Akten ("Verfahrensakten der Entnazifizierung"), in der Reihenfolge ihres Eingangs nach fortlaufenden Nummern (Nr. 1 - 51.785) in Leitz-Ordnern abgelegt worden. Eine alphabetisch geordnete Kartei sorgt für das Auffinden eines individuellen Vorgangs.
b) Die Akten der zunächst von der Militärregierung durchgeführten Entnazifizierung (2.1) sind nach den Bezirken der Militärregierung, die den Stadt- und Landkreisen entsprechen, abgelegt und innerhalb dieser Bezirke alphabetisch geordnet. Eine alphabetisch angelegte Kartei ermöglicht das Auffinden der über eine bestimmte Person geführten Vorgänge.
c) Leider existiert kein Zentralindex sämtlicher Verfahrensakten, so daß sich viele der in der Kartei zu 2.1 vermerkten Vorgänge nicht mehr bei den dazugehörenden Akten befinden, da sie später herausgenommen wurden.
Diese sogenannten "Nebenakten" bilden die dritte große Gruppe der Aufgabenverwaltung (2.2 bis 2.8), in der sowohl Entnazifizierungsvorgänge der Militärregierung als auch solche der deutschen E-Ausschüsse nebeneinander stehen.
Jeder E-Haupt-, Unter- und Sonderausschuß verfügte bis Ende März 1949 über ein Sekretariat mit einer eigenen Registratur. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Ausfüllung der vielen Karteikarten und Formulare sowie deren Registrierung.
Die Stadt- und Landpolizei wurde von einem Sonderausschuß der Militärregierung entnazifiziert (2.2.1 und 2.2.2.). Die bei ihm angelegten Vorgänge sind alphabetisch geordnet und durch ein vorgeheftetes Namensverzeichnis aufzufinden. Eine Kartei ist nicht vorhanden.
Die Beschäftigten des Braunschweigischen-Kohle-Bergbaus (BKB) wurden ebenfalls von einem Sonderausschuß der Militärregierung entnazifiziert (2.2.3). Die Vorgänge sind nach Reihenfolge der Entnazifizierung mit fortlaufenden Nummern versehen und durch eine alphabetisch geordnete Kartei erschlossen.
Andere Berufsgruppen (2.2.4 bis 2.2.9) wurden sowohl von britischen als auch von deutschen Unter- bzw. Sonderausschüssen entnazifiziert. Diese Akten sind auch alphabetisch gelegt. Eigenständige Karteien, die aber unvollständig sind, gibt es nur für Ärzte, Juristen und Lehrer.
Die regionale Entnazifizierung (2.3) geschah durch die Ausschüsse in den Städten und Kreisen. Ihre Akten wurden alphabetisch geordnet und jeweils durch Karteien erschlossen.
Die Internierungsakten (2.4) sind Akten der Polizeibehörden, insoweit sie die Registrierung politisch zu überprüfender Personen betreffen. Sie tragen in der Reihenfolge des Eingangs Nummern. Benutzbar sind sie durch eine alphabetisch angelegte Kartei.
Die Gruppe 2.5 umfaßt politische Fragebögen verschiedener Berufsgruppen und Betriebe, die bei den Ausschüssen eingereicht wurden. Mit Ausnahme der Reichsbahn (2.5.1) handelt es sich um nichtbearbeitete Fälle oder Doppelexemplare. Auch diese Akten sind alphabetisch geordnet.
Stand: Dezember 1988 (mit Ergänzungen 2001 und 2014)
Enthält
Dienststellenverwaltung; Aufgabenverwaltung: Dt. E-Hauptausschuss beim öffentlichen Kläger für den Regierungsbezirk Brsg (Einzelfälle); Entnazifizierung durch die Militärregierung (Allg. u. Einzelfälle); Entnazifizierung bestimmter Berufsgruppen; regionale Entnazifizierung in den Städten u. Kreisen.
Literatur
Irmgard Lange, Entnazifizierung in Nordrhein- Westfalen, Siegburg 1979.
Erich Weise, übernahme und Verwaltung der Entnazifizierungsakten im Lande Niedersachsen, in: Archivalische Zeitschrift, Band 49, 1954.
Weitere Angaben (Bestand)
Umfang in lfd. M.
384
Bearbeiter
Johann-Nikolaus Krizsanits (1988)
Dr. Gudrun Fiedler (2001)
Natascha Noll (2014)
Benutzung
Die meisten Akten sind im Findbuch bisher nicht mit den Namen der Personen verzeichnet, zu denen sie Vorgänge enthalten. Eine Ausnahme bilden die Akten des Gliederungspunktes 2.2. (Entnazifizierung nach Berufsgruppen). Hier wurde eine vertiefte Verzeichnung nach Personennamen vorgenommen, so dass Akten zu einzelnen Personen über das Findbuch ermittelt werden können.
Die meisten übrigen Akten können mit Hilfe der alphabetisch nach den Namen der Betroffenen geordneten Karteien aufgefunden werden. Maßgebend für die Ermittlung der E.-Akte einer bestimmten Person ist zunächst die Kartei des deutschen Entnazifizierungs-Hauptausschusses beim öffentlichen Kläger für den Regierungsbezirk Braunschweig (Nr. 919) bzw. die Kartei der Militärregierung (Nr. 919/1). Ist die gesuchte Akte bei diesen beiden großen Beständen nicht nachweisbar, so müssen die regionalen und sachlichen Karteien herangezogen werden.
Bei Aktengruppen ohne Karteien, wie z. B. bei der Stadt- und der Landpolizei, ist das Auffinden durch die alphabetische Ablegung der Akten gewährleistet.
Bei der Recherche ist zu beachten, daß der Name eines Betroffenen in mehreren Karteien verzeichnet sein kann, je nachdem, ob über ihn von der Militärregierung, vom Haupt-, Unter- oder Sonderausschuß Akten angelegt worden sind. In vielen Fällen finden sich daher auf der Karteikarte und auf dem Vorgang mehrere Signaturen.
Die Recherche in den Karteien kann aus datenschutzrechtlichen Gründen nur von Archivmitarbeitern durchgeführt werden.
Bitte beachten: Die Signaturen 17861-18000 sind bislang nicht vergeben worden.
Informationen / Notizen
Zusatzinformationen
Abgeschlossen: Nein
teilweise verzeichnet