
Identifikation (kurz)
Titel
Gerichtsgefängnis/Justizvollzugsanstalt Stade
Laufzeit
1817-2009
Bestandsdaten
Kurzbeschreibung
Akten des Bezirksgefängnisses ("Stockhaus") in Stade bis 1877, jüngere Akten der Strafanstalt Stade und der Gefängnisverwaltung.
Findmittel: EDV-Findbuch
Umfang: 4,2 lfdm
Geschichte des Bestandsbildners
Zur Geschichte des Strafvollzugs und der Gefängnisse in Stade
Nach der Abschaffung von Staupenschlag und Schandpfahl 1717/18 im Kurfürstentum Hannover traten an ihre Stellen die öffentliche Arbeitsstrafe und die Zuchthausstrafe, welche bis dahin nur eine untergeordnete Rolle im Strafvollzug gespielt hatten. Neben diesen beiden Formen der Freiheitsstrafe bestanden im 18. und 19. Jahrhundert im Kurfürstentum bzw. Königreich Hannover noch die Festungshaft und die Gefängnisstrafe. Die Gefängnisstrafe wurde in den bei den Ämtern und in den Städten eingerichteten Ortsgefängnissen vollzogen und von den Untergerichten verhängt. Sie war stets von kurzer Dauer und nicht mit dem Zwang zu arbeiten verbunden. Arbeits- und Zuchthausstrafe wurden für alle Straftaten verhängt, die nicht mit dem Tod bestraft wurden, aber auch nicht so geringfügig waren, dass man sie nur mit Gefängnis-, Ehren- oder Geldstrafen belegen wollte.
Die Zuchthausstrafe war vor allem eine Strafe für weibliche Delinquenten. Doch fanden sich in den Zuchthäusern auch männliche Straftäter, insbesondere diejenigen, welche körperlich harte Arbeiten nicht verrichten konnten. Zudem wurden alle Strafgefangenen "von Stand" stets im Zuchthaus und nicht in der Karrenanstalt untergebracht, weil die Karrenstrafe als besonders ehrenrührig galt.
Für den Vollzug der Arbeitsstrafen wurden in verschiedenen Städten sogenannte Karrenanstalten oder Stockhäuser zumeist in den Festungsanlagen errichtet. Die Gefangenen der Karrenanstalten wurden überwiegend zu körperlicher Schwerstarbeit zumeist im Freien verwendet. In Stade bestand im Jahr 1717 bereits "seit einiger Zeit" eine Karrenanstalt, deren Insassen für den Festungsbau und Straßenreinigungsarbeiten eingesetzt wurden.
Das Amt Himmelpforten unterhielt in Stade ein Amtsgefängnis, das nach der Bombardierung Stades durch die Dänen gänzlich zerstört war. Es wurde bereits 1716 durch ein neu erbautes Gefangenenhaus vor dem Hohentor ersetzt. Wegen der beengten Räumlichkeiten, die eine getrennte Verwahrung der Kriminellen nicht erlaubte, musste dieses Gefängnis in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts erweitert werden (vgl. Rep. 40 Nr. 1310; Kartensammlung 43 m Stade Nr. 70 und 71). Auch die Stadt Stade unterhielt eigene Gefängnisräume.
Im Kurfürstentum Hannover wurde die Karrenstrafe 1780 grundlegend reformiert, indem die Besserung der Sträflinge stärker in den Vordergrund gestellt wurde. Fortan wurde in allen Karrenanstalten zwischen unverbesserlichen und noch besserungsfähigen Karrensträflingen unterschieden. Diese Unterscheidung bedingte eine getrennte Unterbringung und auch sonst eine unterschiedliche Behandlung der Gefangenen. Daran hielt man bis zur generellen Aufhebung der Karrenstrafe 1840 fest.
Weitere Reformen im Vollzug der Karrenstrafe wurden 1821 und 1823 durchgeführt. Neben zahlreichen Verbesserungen in der inneren Organisation der Häuser brachten diese Reformen vor allem die Trennung der Administration der hannoverschen Karrenanstalten von der Militärverwaltung. Die obere Leitung und Aufsicht über die Stockhäuser wurde seitdem von den Landdrosteien ausgeübt. Die beiden größten hannoverschen Karrenanstalten in Stade und Hameln erhielten in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhundertrs großzügige Neubauten. Das neue Stockhaus in Stade bestand aus einem umfangreichen Gebäudekomplex zwischen der Kleinen Archivstraße, der Reeperbahn und der Güldenstern-Bastion (vgl. Kartensammlung: 42 m Stade Nr. 71 und 72; 43 m Stade Nr. 40-58). In Stade waren die Gefangenen, deren Höchstzahl nach 1823 auf 300 festgesetzt wurde, spätestens seit 1826 nach vier verschiedenen Klassen getrennt untergebracht. Seelsorgerlich wurden die lutherischen Karrensträflinge von dem Stader Garnisonsprediger mit betreut; zweimal jährlich fand auch für die römisch-katholischen Soldaten und Strafgefangenen ein Gottesdienst statt (vgl. Rep. 86 Stade Nr. 3).
Die im Zuge der Trennung von Justiz und Verwaltung zum 01.10.1852 neu eingerichteten Amtsgerichte Stade und Bützfleth zogen 1854 in das vormalige Amts- und Gefangenenhaus in Stade zwischen Beguinen- und Gründelstraße. Gleichzeitig wurde hinter dem Obergerichtsgebäude ein Hilfsgefangenenhaus des Obergerichts in Stade mit 10 bis 12 Stellen und einer Dienstwohnung für den Gefangenenmeister erbaut. Das neue Gefangenenhaus des Obergerichts konnte erst Ende 1855 bezogen werden. Bis dahin wurde das städtische Gefängnis mietweise mitgenutzt (vgl. Rep. 80 Nr. 6744).
Neben diesen beiden Gerichtsgefängnissen bestand in Stade weiterhin das offiziell als Strafanstalt bezeichnete Stockhaus. Es bot 1858 Platz für 120 Kettensträflinge ersten Grades und 100 männliche Zuchthausgefangene ersten Grades. Nach der baulichen Erweiterung der Strafanstalt zwischen 1858 und 1861 (Kartensammlung: 43 m Stade Nr. 59-62) standen Plätze für 190 männliche Zuchthausgefangene ersten Grades und 90 männliche Werkhaus-Gefangene zur Verfügung. Die Straf- und Sicherheitsanstalten des Königreichs Hannover standen infolge der Bekanntmachungen vom 04.10.1852 und 10.09.1859 unter der oberen Leitung des Justizministeriums; die Aufsicht wurde unter Mitwirkung der Kron-Anwaltschaften von der Kron-Oberanwaltschaft in Celle geführt. Zur unmittelbaren Verwaltung einer jeden Anstalt wurde eine Direktion vor Ort eingesetzt.
Nach der Annexion Hannovers durch Preußen ging aufgrund der Verordnung vom 30.12.1867 die obere Leitung der Straf- und Gefangenenanstalten in der Provinz Hannover, welche bis dahin zum Ressort des Justizministers gehörte, zum 01.01.1868 auf den Minister des Innern über. Die Oberaufsicht wurde dem Oberpräsidium der Provinz übertragen. Zur gleichen Zeit wurde die Strafanstalt in Stade in Bezirksgefängnis umbenannt. Das Stader Bezirksgefängnis, nunmehr zur Aufnahme von 220 männlichen Zuchthausgefangenen vorgesehen, wurde jedoch bald nach 1875 geschlossen (vgl. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 122a Nr. 1372, 1871-1879). Die Gebäude wurden fortan unter der Bezeichnung "Güldenstern-Kaserne" für die Unterbringung der Stader Garnison genutzt.
Seitdem bestanden in Stade nur noch die beiden Gerichtsgefängnisse beim Amtsgericht und beim Obergericht (seit 1879 Landgericht). Das in der Beguinenstraße gelegene Hauptgefängnis beim Amtsgericht wurde 1889 durch einen mehrstöckigen Anbau erweitert. Mit dem Bau des neuen Landgerichts 1903 bis 1905 erhielten auch das Amtsgericht und das Hauptgefängnis zum 1. Oktober 1905 neue Häuser am Wilhadikirchhof (vgl. Kartensammlung: 43 m Stade Nr. 9 und 91).
Am 01.08.1918 wurde der Dualismus in der Regelung des Gefängniswesens beseitigt, indem alle Gefangenenanstalten dem Justizminister unterstellt wurden. Zuvor hatten die als Strafanstalten oder Bezirksgefängnisse bezeichneten Zuchthäuser dem Minister des Innern und die zur Vollziehung der Gefängnisstrafen dienenden Anstalten, die als Gefängnisse bezeichnet wurden, dem Justizminister unterstanden.
Die weitgehende Umschichtung und Veränderung fast aller Verhältnisse des preußischen Strafvollzugs kam mit der preußischen Dienst- und Vollzugsordnung vom 01.08.1923 zu einem Ende. Sie wurde zur Grundlage des gesamten Strafvollzugs in den Gefangenenanstalten der preußischen Justizverwaltung. Danach unterstanden sämtliche Gefängnisse und Strafanstalten mit Ausnahme der Polizeigefängnisse dem Justizminister. Die Leitung und Aufsicht über sämtliche Anstalten eines Oberlandesgerichtsbezirkes wurde dem Präsidenten des Strafvollzugsamtes übertragen, der seinen Sitz an dem Ort hatte, an dem sich das Oberlandesgericht befand.
Die Freiheitsstrafen wurden nunmehr in Zuchthäusern, Gefängnissen und Festungshaftanstalten vollstreckt. Während in den Zuchthäusern ausschließlich Zuchthausstrafen vollzogen wurden, dienten die Gefängnisse zum Vollzug von Gefängnis- und Haftstrafen, zur Aufnahme von Untersuchungsgefangenen, von vorläufig festgenommenen Personen, zum Vollzug von Zwangshaft und Ordnungsstrafen, zur Aufnahme von Durchgangsgefangenen und ausnahmsweise zur Vollstreckung von Militärarrest und zur Aufnahme von Polizeigefangenen, insbesondere von in Schutzhaft genommenen Personen dienen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die bei den Amts- und Landgerichten bestehenden Gerichtsgefängnisse weitgehend beibehalten, 1972 in Justizvollzugsanstalten umbenannt. Die bis zum 01.02.2002 selbständige Justizvollzugsanstalt Stade wird seitdem von der Justizvollzugsanstalt Uelzen aus geleitet.
Bestandsgeschichte
Die Akten dieses Bestandes sind von der Justizvollzugsanstalt in Stade in das Staatsarchiv Stade übernommen worden. Der erste Zugang erfolgte 1985 (acc. 35/85, vgl. Rep. 86 Stade Nr. 195). Weitere Akten und Amtsbücher kamen im Jahr 2001 ins Haus (acc. 2001/041 und acc. 2001/064).
Der Zugang (acc.) 2001/041 enthielt u. a. auch Bücher und Broschüren aus der Dienstbibliothek der JVA Stade. Diese sind der Dienstbibliothek des Staatsarchivs unter Vergabe neuer Signaturen einverleibt worden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um:
Musterzeichnung für den Ausbau von Gefängnissen, 1912 (Signatur: 01/0299)
Musterzeichnung für die Einrichtung von Hafträumen, 1889 (Signatur: 01/0300)
Arbeitsbetriebs- und Arbeitskassenordnung für Gefangenenanstalten, 1923 (Signatur: 01/0306)
Hausordnung des Strafgefängnisses Halle/Saale, 1934 (Signatur: 01/0307)
Reglement über die Bekleidung und Lagerung der Gefangenen, 1887 (Signatur: 01/0308)
Ordnung über die Bekleidung und Lagerung der Gefangenen, 1887 (Signatur: 01/0309)
Fritz Nieft, Gefängnisarbeit, 1932 (Signatur: 01/0310)
Ebenfalls mit der Akzession 2001/041 wurden die folgenden Zeichnungen und Pläne übernommen, die jetzt unter den genannten Signaturen in der Kartenabteilung des Staatsarchivs verwahrt werden:
Neu Nr. 3889: Neues Gefangenenhaus in Otterndorf 1887;
Neu Nr. 3891: Amtsrichterdienstwohnung in Neuhaus/Oste 1898
Mappe 953: Amtsgericht und Gefängnis in Stade 1889-1898.
Der vorliegende Bestand Rep. 86 Stade enthält Akten des Stockhauses in Stade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie des daraus entstandenen Bezirksgefängnisses aus der Zeit von 1863 bis 1875. Sodann finden sich in diesem Bestand die Akten der beiden Gerichtsgefängnisse (Haupt- und Hilfsgefängnis), des Landgerichtsgefängnisses und der Justizvollzugsanstalt in Stade aus der Zeit von 1889 bis 1985. Ferner wurden dieser Repositur die nur in kleiner Zahl überlieferten Gefangenenbücher der aufgehobenen Amtsgerichtsgefängnisse in Hagen, Buxtehude und Neuhaus/Oste einverleibt. Diese reichen für das Gerichtsgefängnis in Neuhaus von 1896 bis 1969.
Die Erschließung dieses Bestandes unternahmen Frau Julia Fischell (im Rahmen eines Archivpraktikums) und die Unterzeichnete.
Weitere Akten zum Strafvollzug finden sich in den folgenden Beständen des Staatsarchivs Stade:
Rep. 80 (Landdrostei Stade 1813/23-1885), unter Gliederungspunkt 05.02.05: Akten zu den Strafanstalten, insbesondere zahlreiche Bestallungsakten für das Anstaltspersonal.
Rep. 86 [+ Ortsname]: Akten der Gerichtsgefängnisse in Bremervörde, Cuxhaven, Otterndorf, Rotenburg und Verden.
Rep. 86a: Akten des Generalstaatsanwalts (Strafvollzugsamt) in Celle betr. Verwaltung der Gefängnisse in Blumenthal und Lesum, 1876-1942.
Zudem sei auf die einschlägigen Bestände des Hauptstaatsarchivs Hannover hingewiesen:
Hann. 122: Kronoberanwaltschaft in Celle: Abteilung für Strafanstalten 1717-1875. Darin Akten der Regierung in Stade von 1717 und 1734 sowie der Landdrostei Stade.
Hann. 122a: Oberpräsident der Provinz Hannover. Darin Akten zu Strafanstalten und Polizeigefängnissen.
Hann. 173a: Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht in Celle, 1852-1936, enthält Akten des Strafvollzugsamtes in Celle betreffend das Gefängniswesen.
Stade, im Januar 2003
Dr. Sabine Graf
Eine Abbildung der originalen "Bestandtafel" des Gerichtsgefängnisses, später JVA Stade, (um 1905) ist einsehbar unter Rep. 1006 Nr. 536
Stade, 16.10.2024
Dr. Malte de Vries
Literatur
Hof- und Staatshandbuch für das Königreich Hannover.
Friedrich Haberland, Die Freiheitsstrafe in Hannover, Breslau 1931.
Ernst Pitz, Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Staatsarchivs in Hannover Bd. 2 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 25), Göttingen 1968.
Thomas Krause, Die Strafrechtspflege im Kurfürstentum und Königreich Hannover. Vom Ende des 17. bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. Bd. 28), Aalen 1991.
Jürgen Bohmbach, Stader Stadtlexikon, Stade 1994.
Informationen / Notizen
Zusatzinformationen
Abgeschlossen: Nein
teilweise verzeichnet