NLA ST Rep. 275 I

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Entnazifizierungsakten der britischen Militärregierung 1946/47

Laufzeit 

1946-1947

Bestandsdaten

Kurzbeschreibung 

Entnazifizierungsakten bis 1947
Findmittel: Vollständige EDV-Erfassung in Arcinsys; zudem analoge Namenskarteien der überprüften Personen mit Verweis auf die Nummer des Vorgangs (sämtliche Verfahren von Rep. 275 I in Arcinsys erfasst)
Umfang: Rep. 275 I: 39 lfdm (20.558 Verzeichnungseinheiten), für Entnazifizierungsakten ab 1947 siehe Rep. 275 II

Bestandsgeschichte 

Nach ersten Überlegungen zur Entnazifizierung auf der Konferenz zu Jalta im Februar 1945 erfolgten in der britischen Zone die ersten Maßnahmen deutscher Dienststellen analog zu einer britischen Anweisung an die Finanzbehörden, die nach einer Anweisung des damaligen hannoverschen Regierungspräsidenten und späteren Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf "alle Beamten und Angestellten, auch die ehrenamtlich tätigen, die vor dem 1. April 1933 Mitglied der NSDAP oder aktive Mitglieder der SS und SA waren, sofort vom Amt zu entheben sind." Die ersten Entnazifizierungsbögen wurden daher zunächst an leitende Verwaltungsbeamte verteilt, die z.T. auch schon im Herbst 1945 entlassen wurden. Im Bezirk Stade waren bis Mitte Januar 1946 196 Personen verhaftet und 960 Personen durch Entnazifizierung entlassen worden, dies waren 3 bzw. 14% der öffentlichen Verwaltung.
Einen gesetzlichen Rahmen erhielt diese Praxis jedoch erst mit der Kontrollratsdirektive Nr. 24 für die einheitliche Entnazifzierung aller Personen in öffentlichen und halböffentlich Stellen sowie in einflussreichen Positionen in Privatunternehmen in den vier Besatzungszonen vom 12. Januar 1946, die auf Wunsch der Briten jedoch Klauseln enthielt, die ihnen eine gewisse Entscheidungsfreiheit beließ. Von Anfang an waren an dem Verfahren auch deutsche Ausschüsse beteiligt, die zunächst nach der britischen Zonenpolitikanweisung Nr. 3 beratend ihre Kenntnisse über Personen und Zusammenhänge zur Verfügung stellen sollten. Die Überleitung der Entnazifizierung in die Hände deutscher Spruchkammern in der US-Zone im März 1946 brachte die Briten in Bedrängnis, die zunächst die Befugnisse der deutschen Ausschüsse in Anhängen zu ihrer Zonenpolitikanweisung genauer spezifizierten, bevor sie zur Bewahrung der Einheitlichkeit dem amerikanischen Verfahren in der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 unter Verweis auf das vereinigte Wirtschaftsgebiet zustimmten. Die Veröffentlichung der entsprechenden Durchführungsbestimmungen für die deutschen Ausschüsse in der Zonenexekutivanweisung Nr. 54 vom 30.11.1946 ließ jedoch bis in den Februar 1947 auf sich warten. Neben den Hauptausschüssen auf Landes- und Kreisebene mit ihren jeweiligen Unterausschüssen gab es noch sogenannte Berufungsausschüsse. Die Arbeit der Entnazifizierung durch die Unterausschüsse, die den Kreis der zu überprüfenden Personen nach der Direktive Nr. 24 zu bestimmen hatte, beruhte im wesentlichen auf den Angaben im zunächst vier-, dann sechs- und schließlich zwölfseitigen Fragenbogen mit 116 und später 133 Fragen, deren Wahrheitsgehalt in der Beantwortung nur im Einzelfall überprüft werden konnte. Eine weitere wichtige Quelle sind die in den Bögen meist enthaltenen Entlastungszeugnisse, meist aus dem engeren privaten oder beruflichen Umfeld, manchmal auch von Vertretern der Kirche, des Widerstands oder gar von Verfolgten, der den Betroffenen Passivität oder unpolitisches Verhalten bescheinigte. Die Solidarisierung unter den belasteten Personen und der Handel mit den so genannten 'Persilscheinen' ist aus Untersuchungen bereits bekannt. Die Unterausschüsse leiteten ihre Stellungnahme den Hauptausschüssen zu, die wiederum der Militärregierung eine Empfehlung von Entlassung über mögliche Entlassung bis Belassung im Amt mitteilte. Nach deren Entscheidung erfolgte die Kategorisierung in die Klassen I-V dann wieder durch die Hauptausschüsse, wobei diese nur über die Kategorien III (Minderbelastete), IV (Mitläufer) und V (Entlastete) und damit über Wahlrecht und Bewegungseinschränkungen sowie von Sperrung von Vermögen zu befinden hatten. Die Personen der Kategorie I (Kriegsverbrecher) und II (Nazi-Übeltäter) sollten sich im Internierungslager befinden und von den dort tagenden Spruchkammer abgeurteilt werden. Die Akten liegen dementsprechend auch nicht in den regionalen Archiven, sondern zentral im Bundesarchiv unter der Signatur Z 42. Auf Grund der Notlage in Deutschland und dem wachsenden Gegensatz mit den kommunistischen Staaten in Osteuropa wurde die Willkür in der Anwendung Ausnahmebestimmungen und der Druck immer größer, eine Regelüberprüfung der Personen aus Kategorie III und IV mit dem Ziel der Herabstufung durchzuführen. Dem öffentlichen Druck einer Beendigung der Politik der Entnazifizierung durch die Besatzungsbehörden folgten erste Überlegungen auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom 30. April 1947, die schließlich in die Verordnung Nr. 110 der Militärregierung mündete, die die Verantwortung für die Durchführung der Entnazifzierung zum 1. Oktober 1947 deutschen Behörden übertrug und Entlassungen nach dem 1. Januar 1948 ausschloß. Daraufhin gründete man in Niedersachsen ein Ministerium für Entnazifizierung unter Werner Hofmeister. Lediglich mit einer Verordnung wurde die neue Organisation basierend auf den vorhandenen deutschen Ausschüssen im März 1948 verankert, hinzu kam lediglich ein Öffentlicher Ankläger bei den Ausschüssen zur Vorbereitung der Verfahren. Die Tendenz zur Rehabilitierung der Kategorisierten nahm stetig zu, die noch laufenden Verfahren sollten nun zügig abgeschlossen werden, Berufungen wurden erleichtert, polizeiliche Meldeauflagen und Vermögenssperren aufgehoben. Die Hauptausschüsse auf Kreisebene wurde im Sommer 1949 aufgelöst und auf Bezirksebene gezogen., die Regelüberprüfung abgeschlossen.
Die Entnazifizierungsverfahren fanden mit dem "Gesetz zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen" vom 18.12.1951 ihr Ende. Von Amts wegen wurden nun mehr keine Verfahren eingeleitet, Betroffene hatten noch eine Übergangsfrist bis Ende Februar 1952. Einen Monat später wurden sämtliche Verfahren eingestellt und in Kategorie V überführt. Außerdem wurden alle Betroffenen, die in Kategorie III oder IV eingestuft waren, zum 1.6.1952 per Gesetz entlastet.
Daraufhin wurden nicht nur alle ca. 800.000 Verfahrensakten (Chiffre: VE) zunnächst an das Nds. Staatsarchiv zu Hannover abgegeben, sondern auch die General- und Allgemeinen Verwaltungsakten, die nur in Hannover aufbewahrt werden. Die Generalakten (Chiffre GE) enthielten laut den Angaben im Vorwort zum Hauptbestand in Hannover die gesammelten Verfügungen und älteren gesetzlichen Bestimmungen, die hannoverschen Verwaltungsakten (Chiffre AE) dagegen jüngeren allgemeinen Schriftwechsel der Entnazifizierungsbehörden. Personalakten sind nur trümmerhaft ins Archiv gelangt. In Hannover finden sich für die britische Phase Angaben über die Bezirksinspekteure u. a. für den Regierungsbezirk Stade und für die deutsche Phase über die Besetzung der Ausschüsse bzw. deren Schriftwechsel im zentralen Bestand des Nds. Ministeriums für Entnazifizierung (1945-1953) (Signatur: Nds. 170, früher Nds. B 21). Die Akten der Polizeibehörden (Chiffre POL) kamen für alle vier Bezirke erst im Jahr 1956 und sind wie die Verfahrensakten später auf die einzelnen Archivstandorte aufgeteilt worden.
Das einzig bestehende analoge Findhilfsmittel für die Verfahrensakten sind die nach Regierungsbezirken aufgeteilten Karteien. Lediglich im Regierungsbezirk Stade finden sich noch getrennte Karteien für die britischen und deutschen Verfahren. Für die britische Zeit läßt sich eine Scheidung nach Entnazifizierungshauptausschüssen in den einzelnen Kreisen bzw. Städten (Bremervörde, Cuxhaven, Land Hadeln, Osterholz, Rotenburg, Stade, Verden) aus den Signaturen (z. B. Sta/RH/Brem) nachvollziehen, eine Scheidung für die Verfahrensakten der deutschen Zeit ist dagegen nicht mehr möglich. Sie sind nach durchlaufenden Nummern (Sta/VE/ZR) abgelegt. Diese Nummern sind in Stade in einem fünfzehnbändigen Zentralregister erfasst, das zu den Generalakten gehört.
Eine weitere Kartei gehört zur Gruppe POL und umfaßt die Internierten unter den politisch zu überprüfenden Personen, die sich bei den Polizeibehörden nach ihrer Entlassung melden mussten. Sonst sind in dieser Gruppe nur Schriftwechsel betr. der Entnazifizierung von Polizeibeamten enthalten.

Die Verfahrensakten, die ursprünglich nach dem oben erwähnten Gesetz von 1951 50 Jahre der Geheimhaltung unterliegen sollten, wurden nach einem Landesgesetz vom Mai 1987 für die wissenschaftliche Forschung freigegeben. Nach Ablauf der fünfzigjährigen Frist sind nunmehr nahezu alle Akten ohne Einschränkungen der breiten Öffentlichkeit zugänglich und (im Falle von Rep. 275 I) vollständig in Arcinsys verzeichnet. Aufgrund des Einsatzes vieler Mitarbeiter bei der Verzeichnung sind die Akten in unterschiedlichem Maße tiefenerschlossen, was wir bei der Recherche zu beachten bitten.

Zur Recherche ist zudem folgendes zu beachten: Die Entnazifizierungsakten wurden im Titelfeld nach einem festgelegten Muster erschlossen. Erfasst wurden Name, Vorname und Titel der untersuchten Person, es folgen Angaben zu Geburtsdatum und Wohnort samt Kreiszugehörigkeit des Ortes in den Zeiträumen nach und vor 1945, da es hier Abweichungen voneinander geben kann.
Weiterhin wurden Informationen zum Beruf der betreffenden Person verzeichnet, ehe Angaben zur Einstufung in der jeweiligen Kategorie (Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete) und zur Mitgliedschaft in Parteien vor 1933 und in NS-Organisationen einen Erstzugriff auf die Stellung der Person im Nationalsozialismus erlauben. Zuletzt erfasst die Erschließung mit den Feldern Bemerkung und Leumundszeugnisse weitere wesentliche Bestandteile des jeweiligen Entnazifizierungsverfahrens. Gerade die Leumundszeugnisse boten den Betroffenen Möglichkeiten sich vor der britischen Militärregierung positiv darzustellen, weshalb hier ein besonders sorgsamer, quellenkritischer Umgang geboten ist.

Stade, im April 2008/2022

Thomas Bardelle

(Ergänzt im September 2024, Malte de Vries)

Literatur 

Ausgewählte Literatur:
Erich Weise, Vorwort zum Bestand Nds. 170 des Hauptstaatsarchivs Hannover, Hannover 1956
Justus Fürstenau, Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik, Berlin 1969
Ian Turner, Reconstruction in post-war Germany: British occupation policy and the Western Zones, 1945-55, Oxford 1989, hier S. 239-267
Ulrich Schneider, Niedersachsen 1945/46. Kontinuität und Wandel unter britischer Besatzung, 1984
Stefan Brüdermann, Entnazifizierung in Niedersachsen, in: Übergang und Neubeginn. Beiträge zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Niedersachsens in der Nachkriegszeit, (hrsg. von Dieter Poestges), Göttingen 1997 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 52), S. 97-118.
Stefan Brüdermann, Entnazifizierungsakten, in: Personenbezogene Unterlagen zur NS-Zeit und ihren Folgen im Niedersächsischen Landesarchiv. Quellengruppen und Nutzungsmöglichkeiten, (hrsg. von Kirsten Hoffmann, Bernhard Homa, Nicolas Rügge), Hannover 2023 (Kleine Schriften des Niedersächsischen Landesarchivs 3), S. 64-71.
Hanne Leßau, Entnazifizierungsgeschichten : die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit. Göttingen 2022.

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen 

Abgeschlossen: Ja

Vollständig verzeichnet

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Stade

Zeit von 

1939

Zeit bis 

1947

Objekt_ID 

3

Ebenen_ID 

610

Geo_ID 

610-3

Link 

Regierungsbezirk Stade

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Stade

Zeit von 

1947

Zeit bis 

1972

Objekt_ID 

2

Ebenen_ID 

710

Geo_ID 

710-2

Link 

Regierungsbezirk Stade