NLA AU Rep. 250/1

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Entnazifizierungsausschüsse

Laufzeit 

1945-1952

Bestandsdaten

Kurzbeschreibung 

Unterlagen der einzelnen Entnazifizierungsauschüsse im Bereich des Regierungsbezirks Aurich

Bestandsgeschichte 

1. Zur Entnazifizierung in Niedersachsen

Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 waren sich die Alliierten in dem Bestreben einig, den "deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören". Dazu sollten 1. die wichtigsten NS-Funktionäre interniert, 2. die NS-Organisationen aufgelöst und ihre Vermögens- und Sachwerte eingezogen, 3. die juristisch fassbaren NS-Gewaltverbrechen bestraft, 4. die NS-Elemente aus den Gesetzen entfernt und schließlich 5. eine "politische Säuberung" in Gang gesetzt werden. Insbesondere der letzte Punkt war für den Gebrauch des Begriffes "Entnazifizierung" langfristig prägend.

Bereits im April 1945 wurde die US-Direktive JCS 1067 herausgegeben, die nicht nur eine Entlassung von Nationalsozialisten aus Schlüsselpositionen forderte, sondern eine Entlassung aller "aktiven" Nazis vorschrieb. Während die Amerikaner ihre Entnazifizierungspolitik gemäß dieser Direktive betrieben, distanzierten sich die Briten von diesen, für sie zu weitreichenden Vorgaben. Gleichzeitig konnten sie den Amerikanern jedoch auch kein eigenständiges Konzept entgegensetzen, so dass sich die britische Militärverwaltung zunächst an der amerikanischen Vorgehensweise orientierte und ihre Anordnungen im Rahmen der US-Direktive JCS 1067 erließ.

Da keine detaillierten Durchführungsbestimmungen vorlagen, verwendeten die Briten in ihrer Besatzungszone zunächst ihre "Anweisung an finanzielle Unternehmen und Regierungsfinanzbehörden Nr. 3". Diese sah die Amtsenthebung aller Personen vor, die vor dem 1. April 1933 Mitglieder der NSDAP oder aktive Mitglieder der SS bzw. SA gewesen waren. Somit konzentrierten sich die Entnazifizierungsmaßnahmen zunächst auf die Verwaltungsbehörden, während die Privatwirtschaft erst ein halbes Jahr später ins Blickfeld rückte. Entnazifizierungsfragebögen mussten ausgefüllt werden, auf Grund derer ab Herbst 1945 erste Entlassungen

erfolgten. Für die Überprüfung der Fragebögen war bei der britischen Militärregierung eine Unterabteilung der Public Safety Branch, die Special Branch als politische Polizei, zuständig.

Erst mit der Direktive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 über die Entfernung von Nationalsozialisten aus verantwortlichen Stellungen erließ der Alliierte Kontrollrat für die vier Besatzungszonen einheitliche Richtlinien. Eine Umsetzung der Direktive in der britischen Zone erfolgte wenige Tage später, am 17. Januar 1946, durch die Zonen-Exekutiv-Anweisung Nr. 3. Nachdem die Briten bereits im Dezember 1945 beschlossen hatten, Deutsche in beratender Funktion an dem Entnazifizierungsprozess zu beteiligen, sah die britische Anweisung Nr. 3 die Einrichtung von deutschen Entnazifzierungsausschüssen vor. In den Folgemonaten wurden die britischen Vorgaben durch fünf Anhänge ergänzt, in denen die Entnazifzierung einzelner Berufsgruppen, aber auch die Zusammensetzung der Ausschüsse eingehender geregelt wurden. Erst im April konnte eine komplett überarbeitete Fassung herausgegeben werden. Die Zonen-Exekutiv-Anweisung Nr. 3 sah die Bildung von Entnazifizierungsausschüssen auf Kreis- und Regierungsbezirksebene vor. Zudem sollten eine Reihe von Unterausschüssen zu einzelnen Berufsgruppen oder Industriezweigen unterstützende Vorarbeit leisten. Für die Überprüfung bereits entschiedener Fälle wurden Berufungsausschüsse eingesetzt. Jeder Ausschuss sollte sechs bis 16 Personen umfassen und sich aus ausgesprochenen "Nazigegnern" oder "Nicht-Nazis" zusammensetzen.

Wichtigstes Entscheidungsmittel der Ausschüsse war der berühmt-berüchtigte Fragebogen, von dem es schließlich drei Versionen gab, die prinzipiell nacheinander in Gebrauch waren, zum Teil aber auch gleichzeitig verwendet wurden. Da für die Ausschüsse eigenständige Nachforschungen über die Bewertung des Fragebogens hinaus kaum vorgesehen waren,

konnten Fragebogenfälschungen nicht ausgeschlossen werden. In der britischen Besatzungszone wurden von 2,1 Millionen überprüften Personen 0,1 Prozent wegen Fälschung der Fragebögen zur Verantwortung gezogen. Doch die Dunkelziffer dürfte erheblich höher gewesen sein.

Die deutschen Entnazifizierungsausschüsse hatten zunächst nur eine beratende Funktion. Innerhalb ihres Aufgabenbereichs bestimmten die Unterausschüsse den zu überprüfenden Personenkreis. Sie bewerteten die Fragebögen und gaben schriftliche Stellungnahmen ("opinion sheets") ab, auf Grund derer der Hauptausschuss eine von drei Empfehlungen aussprach: 1. muss entlassen werden (compulsory / mandatory removal), 2. Entlassung ist zu erwägen (discretional removal) oder 3. kann im Amt bleiben (no objections). Die endgültige Entscheidung behielt sich jedoch die Militärregierung vor. Auch bei Berufungen, bei denen die Berufungsausschüsse Empfehlungen auszuarbeiten hatten, fällte Special Branch die endgültige Entscheidung.

Mit Erlass der Zonen-Exekutiv-Anweisung Nr. 54 zur "Kategorisierung und Behandlung von Kriegsverbrechern und Nazis" vom 30. November 1946 erweiterte sich das Aufgabengebiet der deutschen Entnazifizierungsausschüsse. Sie erhielten nach der Entscheidung der Militärregierung über eine eventuelle Entlassung die Verfahrensakte zurück, um die Einordnung des Betroffenen in eine von fünf Kategorien vorzunehmen. Dabei stand den Ausschüssen allerdings nur das Recht zu, Empfehlungen für die Kategorien V (Entlastete), IV ("Mitläufer") und III (Minderbelastete) auszusprechen. Die Personen der Kategorie II (Nazi-Übeltäter) und I (Kriegsverbrecher) sollten sich dagegen bereits in den Internierungslagern befinden. Während bei einer Einstufung in die Kategorie V keinerlei Sanktionen erfolgten, waren bei Kategorie IV eine Beschränkung der Freizügigkeit und der Entzug des passiven Wahlrechts und bei

Kategorie III zudem differenzierte Beschäftigungsbeschränkungen vorgesehen. Darüber hinaus konnte der Ausschuss selbständig über eine Sperre des Vermögens und der Konten entscheiden.

Eine ausgewogene Überprüfung der Betroffenen war den Ausschüssen bei der großen Anzahl der anhängigen Verfahren nicht möglich. Ein ehemaliges Ausschussmitglied berichtete über die Arbeit des Wilhelmshavener Entnazifizierungsausschuss:
"Wir saßen gemeinsam am ´runden Tisch` und arbeiteten die uns vorliegenden Fragebögen durch. Jeder einzelne Fall wurde kurz besprochen, aber viel Zeit war nicht, das ging alles ruck-zuck. In Zweifelsfällen, zum Beispiel wenn die Angaben unvollständig waren, luden wir die Kandidaten vor den Ausschuss. Das kam höchst selten vor."
[Stefan Appelius, Die Stunde Null, die keine war. Restauration und Remilitarisierung in Wilhelmshaven, Hamburg 1986, S. 77.]

Die letzte Phase der Entnazifizierung wurde mit der Verordnung Nr. 110 der Militärregierung vom 1. November 1947 eingeleitet, durch die die Entnazifizierungsaufgaben weitgehend auf die Regierungen der Länder übertragen wurden. Ausgenommen waren jedoch weiterhin die Einstufungen in die Kategorien I und II. Zu diesem Zeitpunkt lagen in Niedersachsen noch etwa 70.000 unerledigte Fälle vor. Werner Hofmeister, der im Oktober 1947 zum Minister für Entnazifizierung ernannt worden war, erließ am 9. März 1948 eine "Verordnung über das Verfahren zur Fortführung und zum Abschluss der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen." An der bisherigen Organisation der Entnazifizierungsausschüsse wurde festgehalten. Nur formal wurden diese neu gebildet, während weitgehend auf das vorhandene Personal zurückgegriffen wurde. Erneut gab es Hauptausschüsse in den Städten und Landkreisen, Berufungsausschüsse in den Regierungsbezirken und Ausschüsse für einzelne Berufsgruppen. Neben dem Vorsitzenden bestanden die Ausschüsse aus

jeweils sechs Mitgliedern, die vom Minister berufen wurden, wobei sowohl kommunale Vorschläge als auch die Parteizugehörigkeit berücksichtigt wurden. Neu war dagegen die Position des Öffentlichen Klägers bei den Ausschüssen, der die Verfahren vorbereitete.

Bereits Ende März 1949 wurden die Hauptausschüsse auf Kreisebene aufgelöst. Die noch ausstehenden Verfahren wurden bei neu gebildeten Hauptausschüssen der Regierungs- und Verwaltungsbezirke fortgeführt. Am 28. Juni 1949 erfolgte die Auflösung des Ministeriums für Entnazifizierung. Endgültig beendet wurde die Entnazifizierung in Niedersachsen durch das "Gesetz zum Abschluss der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen" vom 18. Dezember 1951.


2. Der Bestand Rep. 250/1

Das Gesetz zum Abschluss der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen sah u. a. vor, dass "die Entnazifizierungsakten nach dem 31. Mai 1952 bei den Staatsarchiven zu verwahren sind". Dazu zählten nicht nur die Unterlagen der Entnazifizierungsbehörden und öffentlichen Kläger, sondern auch die der Polizeibehörden. Diese Vorgabe wurde durch den Innenminister insoweit spezifiziert, dass unter dem Begriff "Entnazifizierungsakten" nur "die Verfahrensakten und die Kartei" zu verstehen waren. Die übrigen Unterlagen (General- und Personalakten der einzelnen Entnazifizierungsbehörden) wurden dagegen zunächst den Bezirksregierungen übergeben, um etwaige notwendige Abwicklungsgeschäfte vornehmen zu können.

Die allgemeinen Akten der Entnazifizierungsbehörden gelangten über den Umweg über die Bezirksregierung erst später in das Staatsarchiv Aurich und bilden heute den Bestand Rep. 250/1 Entnazifizierungsausschüsse. Daher weisen die Unterlagen sehr unterschiedliche Vorprovenienzen auf - von den einzelnen Ausschüssen auf Kreisebene über den Öffentlichen Kläger bis zum Berufungsausschuss auf Bezirksebene.

Die Unterlagen gewähren einen Einblick in die

Verwaltungstätigkeit der einzelnen Dienststellen und Ausschüsse, die mit der Entnazifizierung in Ostfriesland beauftragt waren. Daneben finden sich in dem Bestand zahlreiche Schriftwechsel zu einzelnen Entnazifizierungsverfahren, die in Verbindung mit den Verfahrensakten (Rep. 250) durchgesehen werden sollten. Einzelne Akten befassen sich zudem mit der Entnazifizierung einzelner Berufsgruppen, darunter Lehrer, Polizisten, Ärzte oder Reichsbahnbedienstete. Herausragende Unterlagen stellen die Verdachtsfälle von Fragebogenfälschungen sowie die vorliegenden Urteile wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Abgerundet wird der Bestand durch statistische Aufzeichnungen und Verfahrensregister auf der Ebene der Kreisentnazifizierungsausschüsse.

Die Verzeichnung des Bestandes konnte im Mai und Juni 2005 weitgehend abgeschlossen werden. Einige Personalakten, die noch nachträglich aufgetaucht waren, folgten im September 2005 nach.

Literaturhinweise:
Peter Bahlmann, "... hat mit Politik nicht das Geringste zu tun." Die Rolle der Leumundszeugen bei der Entnazifizierung, dargestellt am Beispiel der ostfriesischen Kleinstadt Esens, Oldenburg 2002 (Magisterarbeit).

Stefan Brüdermann, Auswählende Verzeichnung von Entnazifizierungsakten im Hauptstaatsarchiv Hannover, in: Archiv-Nachrichten Niedersachsen, 1998, 2, S. 39-42.

Stefan Brüdermann, Entnazifizierung in Niedersachsen, in: Dieter Poestges, Übergang und Neubeginn, Göttingen 1997, S. 97-118.

Olaf Reichert, "Wir müssen doch in die Zukunft sehen ¿" Die Entnazifizierung in der Stadt Oldenburg unter britischer Besatzungshoheit 1945-1947, Oldenburg 1998.

Ullrich Schneider, Zur Entnazifizierung der Hochschullehrer in Niedersachsen 1945-1949, in: Niedersächsisches Jahrbuch 61, 1989, S. 325-346.

Clemens Vollnhals, Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949,

München 1991.

Erich Weise, Übernahme und Verwaltung der Entnazifizierungsakten im Lande Niedersachsen, in: Archivalische Zeitschrift 49, 1954, S. 151-162.


Aurich im September 2005

Dr. Michael Hermann

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen 

Abgeschlossen: Nein

teilweise verzeichnet

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1972

Objekt_ID 

5022016

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022016

Link 

Regierungsbezirk Aurich

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich Teil Spiekeroog

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1977

Objekt_ID 

5022023

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022023

Link 

Regierungsbezirk Aurich Teil Spiekeroog

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich Teil Norderney

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1977

Objekt_ID 

5022026

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022026

Link 

Regierungsbezirk Aurich Teil Norderney

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich Teil Langeoog

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1977

Objekt_ID 

5022024

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022024

Link 

Regierungsbezirk Aurich Teil Langeoog

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich Teil Juist

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1977

Objekt_ID 

5022027

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022027

Link 

Regierungsbezirk Aurich Teil Juist

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich Teil Borkum

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1977

Objekt_ID 

5022029

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022029

Link 

Regierungsbezirk Aurich Teil Borkum

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Regierungsbezirk Aurich Teil Baltrum

Zeit von 

1937

Zeit bis 

1977

Objekt_ID 

5022025

Ebenen_ID 

10

Geo_ID 

10-5022025

Link 

Regierungsbezirk Aurich Teil Baltrum