NLA ST Rep. 303/11

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Gebr. Schmidt Gummiwarenfabrik, Stade

Laufzeit 

1911-1999

Bestandsdaten

Kurzbeschreibung 

Der Bestand umfasst die Reste eines Firmenarchivs aus der Insolvenzmasse der unter dem Firmennamen Gebr. Schmidt Gummiwarenfabrik bzw. Markennamen Swing bekannt gewordenen Fabrik aus Stade. Er enthält eine umfassende Firmendokumentation, Unterlagen zum Personalbestand und zum Inventar, Bilanzen und Bauunterlagen aus den Jahren 1911 bis 1999.

Geschichte des Bestandsbildners 

Die Firma hat ihren Ursprung in der am 15. April 1913 am Fischmarkt 8 von Arthur Schmidt mit vier Mitarbeitern begründeten "Schmidt's Gleitschutzfabrik und Dampfvulkanisieranstalt'. Als ausgebildeter Schlosser hatte er auch im Rahmen seiner Ausbildung eine Vulkanisierungsanstalt kennen gelernt. Da Autoreifen zu dieser Zeit noch sehr kostspielig und nicht sehr langlebig waren, schien es ihm eine gute Geschäftsidee, ein Geschäft zur Reparatur von Reifen in Stade zu etablieren, deren Kundenstamm und damit auch die Zahl der Mitarbeiter dann auch rasch wuchs. Daneben fungierte gleichzeitig sein jüngerer Bruder Robert Schmidt jun. als Kaufmann des "Stader Automobilhauses" u. a. als Generalvertretung für die russische Autoreifenmarke "Provodnic". Auch im 1. Weltkrieg konnte man in diesem Geschäftsfeld trotz Beschlagnahme der Lagerbestände weiter gute Geschäfte mit Heeresaufträgen machen.
So konnte man schon zum 7. April 1916 das Gelände der ehemaligen Riemenscheibenfabrik Gebr. Wolf in der Freiburger Str. 19-21 aufkaufen und dort das Fundament einer neuen dampfbetriebenen Fabrik schaffen. Nach dem Aufbau zweier Walzwerke und eines weithin sichtbaren Schornsteins stellte man nach Ende des 1. Weltkriegs unter der Bezeichnung "Schmidt's Pneumatik" Fahrradreifen und -schläuche, Automobil- und Motoradreifen sowie unter der Bezeichnung "Schwinge" Gummiabsätze und -sohlen her. Man stellte nach dem 1. Weltkrieg mit Hilfe von Transformatoren 1921 von Dampfbetrieb auf elektrische Energie um und führte eine erstes eigenes Labor ein. 1918 erfolgte auch die Neubezeichnung unter "Schmidts Gummiwarenfabrik Arthur Schmidt" und die Gründung einer zweiten Firma "Schmidts Gummiwarenfabrik, Verkauf Robert Schmidt", mit deren Hilfe der jüngere Bruder von Arthur Schmidt den gesamten Vertrieb eigenständig übernahm. Diese parallele Existenz hielt aber nur bis zum 1. November 1921 als die Betriebsführung unter dem Namen "Schmidts Gummiwarenfabrik , Arthur Schmidt AG" zusammengelegt und in eine Familienaktiengesellschaft überführt wurde. Schon bald darauf stieg die Herold-AG aus Hamburg, eine Tochter aus dem Konzern der New-York Hamburger Gummiwaren Compagnie AG, mit 49% in die AG ein und brachte für wenige Jahre die Fabrikation von Edelkunstharzen unter der Bezeichnung "Herolith" als neuen Erwerbszweig mit ein, bevor das Verfahren aufgrund der schlechten Wirtschaftslage 1930/31 nach Amerika verkauft und dort von Arthur Schmidt eingeführt wurde. Die Gummiwarenfabrik wurde daraufhin 1934 in eine OHG umgewandelt und Kautschuk wieder zum einzigen Rohstoff, der in Stade weiterverarbeitet wurde. Doch im Zuge der Autarkiepolitik wurde auch in den Jahren von 1934 bis 1948 in einem separaten Fabrikteil Futtermittel für die Schweine- und Geflügelmast unter der Bezeichnung "Hormovit" vertrieben. Zwischenzeitlich verstarb Arthur Schmidt am 11. Juni 1942 mit 51 Jahren nach schwerer Krankheit und sein Bruder Robert wurde alleiniger persönlich haftender Gesellschafter der Firma, die nun in eine Kommanditgesellschafft umgewandelt und fortan unter der Bezeichnung "Gebr. Schmidt, Stade/Elbe, vorm. Schmidts Gummiwarenfabrik, Arthur Schmidt AG" geführt wurde. Robert Schmidt trat 1933 der NSDAP bei, wurde aufgrund seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern 1936 ausgeschlossen, konnte aber nach deren Rehabilitierung 1939 wieder eintreten. Irgendwelche Parteiämter, auch in Wirtschaftsorganisationen der Partei, hatte er nach eigenem Bekunden nicht inne. Ab Mitte Dezember 1941 beschäftigte die Firma Zwangsarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien, später Polen und Franzosen, ab März 1944 auch Italiener und Russen. Viele von ihnen waren zunächst in Lagern (u.a. Campe, Schlichting oder Seemann), später dann aber mitten in der Stadt Stade (z. B. Fischmarkt 6, Inselstraße 9, Wasser West 25, Gartenstraße 3, Bungenstr. 6) untergebracht. Manche blieben nur wenige Wochen oder Monate, andere spätestens bis zum 30. April 1945. Unmittelbar danach wurden in den ersten Nachkriegsjahren unzählige Vertriebene oft nur für wenige Monate als Arbeiterinnen und Arbeiter angestellt. Für die Einstellung der Futtermittelproduktion wurde auf Verlangen der britischen Militärregierung 1946 mit der Produktion von Präservativen in einer eigenen "Tauchabteilung für hygienische Gummiwaren" unter der Bezeichnung "Swing" begonnen. Hier waren bis zu 200 Frauen beschäftigt, die jedoch nach Einstellung des Betriebs aus mangelnder Rentabilität 1964 wieder entlassen wurden. Auch die Produktion von Fahrradschläuchen wurde eingestellt, da mittlerweile diese nur in Zusammenhang mit Fahrradreifen, die die Firma nicht herstellte, verkauft werden konnten. Dafür kam als neues Geschäftsfeld die Herstellung von Spezial-, Druck- und Stempelgummimischungen und Matrizen für das graphische Gewerbe neu hinzu. Diese Produkte wurden weltweit, auch mit Hilfe der Fachmesse "DRUPA - Druck und Papier" aus Düsseldorf, wo die Firma seit Anbeginn 1951 vertreten war, vertrieben. Daneben wurden Gummimischungen für die Kabelindustrie, auch zunehmend für Fahrzeuge, hergestellt. Der Vergrößerung der Produktion folgte auch die Vergrößerung des Fabrikgeländes für die Errichtung neuer Lagerhallen und Maschinen wie eine 3-Walzenkalander sowie die Einstellung erster Gastarbeiter. Dafür wurde auch Unterkunfts- und Sozialräume aufgebaut und eine Unterstützungskasse begründet. Als 'sauberer' Energieträger wurde von Kohle auf Öl umgestellt. 1964 wurde bereits ein 4-Walzenkalander angeschafft. In den Folgejahren geriet auch die Kautschukindustrie in die Krise und der Export brach ein. Am 18. August 1967 verstarb auch Robert Schmidt, der von 1931 bis zum Ende des 2. Weltkriegs auch Aufsichtsratsvorsitzender der Volksbank Stade und von 1947 bis 1957 auch erster Vorsitzender des Arbeitgeberverbands im Regierungsbezirk Stade war. An seine Stelle als persönlich haftender Gesellschafter trat der langjährige Mitarbeiter und Schwiegersohn Werner Müller, der das Werk mit neuen Maschinen (11Walzwerke, zwei Innenmischer, zwei Kneter, Refainer, zwei Kalander etc.) ausstattete, in dem zu 80% schwarze bzw. helle und farbige Gummimischungen im Umfang von 80-100 Tonnen monatlich im Einschichtbetrieb sowie zu 20% fertige Artikel für die Automobilindustrie, Medizin-, Atem- und Tauchtechnik, für Maschinen für Haushaltswaren und Elektroindustrie sowie Gummiplatten für die Verpackungsindustrie mit Hilfe von Pressen hergestellt wurden. Er setzte sich auf verstärkt für neue Absatzmärkte ein. Hauptabsatzgebiet war das graphische Industrie für Druck- und Stempelgummimischungen, Matrizen, Schnittplatten und Gummidrucktücher, aber auch die Verpackungsindustrie mit Spezialdrucktüchern für Margarine- und Joghurtbecher, Lackiertücher als Aufdruck von Getränkedosen etc. 1986, nach dem 75jährigen Jubiläum, übernahm dann der Sohn Wulf Müller den Betrieb. Der schon länger sich abzeichnenden Probleme im Bereich der billigeren Konkurrenz, fehlender Absatzmärkte und Fachkräfte, hoher und schwer kalkulierbarer Energie- und Rohstoffpreise, der sehr diversifizierten Produkte und hoher Investitionskosten in neue Maschinen und Gebäude hielt die Firma dann nicht mehr stand.
Der Insolvenzantrag wurde 2018 beim Amtsgericht Stade gestellt und der Geschäftsbetrieb von der New-York Hamburger Gummiwaren Compagnie AG und das Fabrikgelände von einer Tochtergesellschaft der Stader Lindemann Gruppe übernommen. Bis Ende 2021 wurde dort noch Gummi- und Kunststoffmischungen für den Fahrzeugbau, Luft- und Raumfahrt, Haushaltsgeräte und die Pharmaindustrie hergestellt, bevor im Sommer 2022 endgültig die Produktion eingestellt wurde.

Stade, im Oktober 2023

Dr. Thomas Bardelle

Bestandsgeschichte 

Die Geschäftsleitung der Lindemann-Gruppe aus Stade, die das Gelände nach der Insolvenz der Gummiwarenfabrik im Sommer 2022 endgültig übernommen hatte, war in Zusammenhang mit der Räumung der verbliebenen Fabrikgebäude auch auf die Reste des Firmenarchivs gestoßen und hatte es zunächst übernommen. Diese Unterlagen wurden dem U. im Frühjahr 2023 vom Senior der Unternehmensgruppe, Peter Witt, zur Übernahme angeboten. Im August 2023 folgte eine Sichtung, bei der weite Teile des noch vorhandenen Firmenarchivs als Schenkung übernommen wurden. Der Bestand enthält neben den hier versammelten Akten und Geschäftsbücher auch noch eine Anzahl von Plänen und Bauzeichnungen, die sich im Bestand 'Karten Mappen' (als Acc. 2023/74) unter den Nummer 1509 bis 1512 befinden sowie einige Werbeartikel und Produktmuster, die (als Acc. 2023/70) in die Asservatesammlung übernommen worden sind.

Literatur 

50 Jahre Gebr. Schmidt Gummiwarenfabrik in Stade 1911-1961, Stade 1961