NLA AU Rep. 227/ 1

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Jungdeutscher Orden, Bruderschaften Leer und Rheiderland

Laufzeit 

1922-1991

Bestandsdaten

Kurzbeschreibung 

Der 1920 von Artur Mahraun gegründete Jungdeutsche Orden gehörte zwar zum bunten Parteien- und Verbändespektrum der "Konservativen Revolution", doch bekannte er sich seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre - u. a. in Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten - zur Weimarer Republik. 1933 wurde er aufgelöst.

Bestandsgeschichte 

1. Der Jungdeutsche Orden
2. Der Jungdeutsche Orden in Ostfriesland
3. Der Bestand "Jungdeutscher Orden"
4. Sekundärliteratur in Auswahl



1. Der Jungdeutsche Orden

Der "Jungdeutsche Orden e.V." (abgekürzt "Jungdo") ging am 10. Januar 1920 aus einem seit Anfang 1919 in Kassel bestehenden Freikorps hervor. Sein Gründer war der Hauptmann d.R. und Weltkriegsteilnehmer Artur Mahraun (1890-1950), dessen Familie aus Ostpreußen stammte und sich in die Zeit des Deutschen Ordens zurückverfolgen läßt.

Dieser Bezug war ausschlaggebend für die Benennung des "Jungdeutschen Ordens" und die Entlehnung vieler seiner Formen, Bezeichnungen und Rituale. Entsprechend wurde Arthur Mahraun am 22. Februar 1920 zum ersten "Hochmeister" gewählt, was rechtlich gesehen der Stellung eines Vereinsvorsitzenden entsprach. Auf Provinz- oder Landesebene entstanden Großballeien mit Großkomturen an der Spitze, auf regionaler Ebene Balleien, geführt von Komturen. Ihnen waren auf Kreisebene Bruderschaften, denen Großmeister vorstanden, und auf lokaler Ebene Gefolgschaften - diese auch als Bruderschaften bezeichnet, wenn sie besonders umfangreich waren - untergeordnet. Später gesellten sich auch "Jungdeutsche Schwesternschaften" hinzu. Die Anrede der Mitglieder - so auch in den vorliegenden Quellen - war "Bruder" bzw. "Schwester"; an die Stelle von "Sie" trat "Ihr". Mitgliederversammlungen hießen Kapitel. Wie andere Wehrverbände der Weimarer Zeit trugen die Mitglieder Uniform und organisierten sie Aufmärsche.

Als mitgliederstarker Wehrverband strebte der Jungdeutsche Orden den "Wiederaufbau des geliebten Vaterlandes und die sittliche Wiedergeburt des deutschen Volkes" nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg an. Wie bei vielen anderen ehemaligen Frontkämpferverbänden wollte Mahraun dabei die Frontkameradschaft des Krieges zur Überwindung der "Standes- und Klassengegensätze"

im zivilen Leben nutzen. Obwohl bündische Elemente in die Vorstellungswelt der Jungdeutschen mit einflossen, handelte es sich gleichwohl um einen generationsübergreifenden Verband.

Der Jungdeutsche Orden gehörte zwar zum bunten Parteien- und Verbändespektrum der sog. "Konservativen Revolution" und ist damit den rechten Parteien zuzurechnen, doch bekannten sich Mahraun und sein Orden nach anfänglichem Verbot durch die Regierung und vor allem in der Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten und anderen Verbänden der sog. "Nationalen Bewegung" in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre durchaus zur Weimarer Republik. Die Deutsche Staatspartei ging 1930 aus dem Zusammenschluß der DDP und der von Mahraun gegründeten Volksnationalen Reichsvereinigung hervor, wenngleich sie schon recht bald an inneren Gegensätzen zerbrach.

Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 unterstützte der Jungdeutsche Orden Hindenburg. Mahraun und sein Jungdeutscher Orden strebten allerdings eine Weiterentwicklung der Weimarer Republik und deren verachtetes Parteiensystem zu einem "wahren Volksstaat" an. In seinem "Jungdeutschen Manifest" vom 18. Dezember 1927, das den Untertitel "Volk gegen Kaste und Geld, Sicherung des Friedens durch Neubau des Staates" trug, verkündete Mahraun seine vor allem auf sog. "Nachbarschaften" aufbauende Staatstheorie. Nach ihr stellten die aus ca. 500 beieinander wohnenden Wahlberechtigten die kleinsten politische Einheiten dar, deren gewählten Vertreter die Gemeinde- bzw. Stadträte bilden sollten (Kur-Prinzip). Ein entsprechender Aufbau war auch für die übergeordneten Ebenen vorgesehen. Die sog. "Nachbarschaftsbewegung" mit ihren basisdemokratischen Ideen aus der Zeit nach 1945 geht wesentlich auf Mahraunsche Vorstellungen zurück.

Mit seinem "Großen Plan" von 1932 glaubte Mahraun zudem ein wirksames Mittel gegen die Arbeitslosigkeit vorlegen zu können. Der

vom Jungdeutschen Orden seit Mitte der zwanziger Jahre propagierte "Freiwillige Arbeitsdienst" wurde von den Nationalsozialisten vereinnahmt und bildete eine wesentliche Grundlage des späteren Reichsarbeitsdienstes.

Nach Mahrauns Schrift "Der nationale Frieden am Rhein" von 1926, in der er für eine Versöhnung mit Frankreich eintrat, wandten sich kleinere Gruppen von Mitgliedern des Jungdeutschen Orden zum "Stahlhelm" ab. Als politischen Gegner betrachtete Mahraun insbesondere den späteren DNVP-Vorsitzenden Hugenberg und seinen Medien-Konzern. Aus dem Umkreis des Jungdeutschen Ordens stammten in der Weimarer Zeit durchaus aufklärerische Schriften wie jene von Alfred Kuermann "Ludwig XIV. ist tot! Es lebte Adolf Hitler", die der Autor "zum Kampf gegen den Nationalsozialismus, den Vertreter einer diktatorischen Herrschaftsform, deren Verwirklichung die Entmündigung und Erniedrigung des Deutschen Volkes bedeutet", verfaßte. Nach der Auflösung des Ordens 1933 ging zwar ein Teil der Mitglieder zum Nationalsozialismus über, ein anderer Teil aber lehnte ihn - damit einem Aufruf Mahrauns folgend - entschieden ab und ging in den Widerstand. Mahraun selber wurde 1933 verhaftet, konnte aber eine Zeitlang weiter publizieren, ab ca. 1939 unter dem Pseudonym Dietrich Kärrner.

Seit 1924 erschien im von Mahraun geleiteten "Jungdeutschen Verlag" eine eigene Tageszeitung mit programmatischem Untertitel: "Der Jungdeutsche. Tageszeitung für Volkskraft und Ständefrieden", seit 1925 außerdem die Monatsschrift "Der Meister". Der Verlag veröffentliche ebenfalls zahlreiche Werke Mahrauns und seiner Mitkämpfer Pastenaci, Bornemann, Kuermann usw. Diese Bücher geben einen guten Eindruck vom "Weltanschauungskampf" der Weimarer Jahre.

Räumlicher Schwerpunkt des Ordens war Norddeutschland. 1925 übersiedelte die Ordensleitung von Kassel nach Berlin. Die Höchstzahl der Ordensmitglieder hat

Mahraun selber auf ca. 37.000 veranschlagt, doch erreichten die Veröffentlichungen des Jungdeutschen Ordens damals einen erheblich größeren Wirkungskreis.

Mahraun vertrat auch nach 1945 weiter seine auf den "politischen Nachbarschaften" aufbauende Staatstheorie, lehnte jedoch eine Wiederbelebung des Ordens in seiner bisherigen Form als nicht zeitgemäß ab. Nach dem Tode Mahrauns 1950 entstanden gleichwohl mehrere Vereine, deren Mitglieder der jungdeutschen Tradition und der Mahraunschen Staatstheorie verbunden blieben (Artur-Mahraun-Gesellschaft, Jungdeutscher Bund usw.). Diese Vereine gehören damit - und dies wird hier archivisch in einem durchaus exemplarischen Sinne verstanden - zu jenen Organisationen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die der üblichen Parteiendemokratie kritisch gegenüber stehen und für Basisdemokratie, Volksbegehren usw. eintreten.



2. Der Jungdeutsche Orden in Ostfriesland

Im Spätherbst 1923 warb der in Breslau tätige Dr. Rudolf Rulffes aus Loga unter seinen Bekannten in Leer für die Ideen des Jungdeutschen Ordens, worauf am 8. Dezember 1923 in Leer eine erste Gefolgschaft gegründet wurde, die schon recht bald aufgrund ihrer großen Mitgliederzahl zur Bruderschaft heranwuchs. In Emden entstand am gleichen Tag direkt eine Bruderschaft. In Aurich gründete sich eine Gefolgschaft am 2. Juli 1924. Vereinsunterlagen aus den Gruppen in Emden und Aurich sind jedoch nicht überliefert.

Der Leeraner Gefolgschaft bzw. Bruderschaft gehörte als eines der ersten Mitglieder auch der Kaufmann Josef Hermann Höcker (1902-1977) (s. Ostfriesland, 1977/3) an, auf dessen Initiative hin sich wiederum Gefolgschaften in Holtland, Filsum usw. bildeten. Während des Dritten Reiches sorgte Höcker für die Verbreitung von Briefen Mahrauns aus dem Gefängnis Plötzensee. Für dessen Staatstheorie bzw. den Mahraunschen Nachbarschaftsgedanken hat sich

Höcker auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt.

Nach einem Vortrag Höckers am 24. Mai 1924 entstand auch in Jemgum eine Gefolgschaft, der u.a. der Jemgumer Fokke Pruin angehörte. Nachdem dieser sich während der Weimarer Zeit aktiv an der Verbreitung des Gedankenguts des Jungdeutschen Ordens in Ostfriesland beteiligt hatte, hielt Pruin während des "Dritten Reichs" durch mehrere Reisen Kontakt zu Artur Mahraun und versorgte diesen während der Kriegszeit u.a. mit Nahrungsmitteln.

Am 19. September 1925 konstituierte sich in Leer außerdem eine Jungdeutsche Schwesternschaft. Mahraun sprach selber am 27. September 1932 in Leer (s. Leeraner Anzeigenblatt).

Nach dem Verbot des Jungdeutschen Ordens gingen auch ostfriesische Mitglieder auf Distanz zum Nationalsozialismus bzw. in den Widerstand, darunter auch Pruin und Höcker. Andere Mitglieder, wie z.B. der spätere Landesbauernführer Weser-Ems Jaques Groeneveld, wanderten hingegen zu den Nationalsozialisten ab.



3. Der Bestand "Jungdeutscher Orden"

Der vor und nach dem Zweiten Weltkrieg als Leistungsinspektor bei der Landwirtschaftskammer Weser-Ems in Oldenburg tätige Fokke Pruin gehörte, wie erwähnt, in seiner Jugend zur Bruderschaft Rheiderland des Jungdeutschen Ordens. Er war eng befreundet mit der katholischen Familie Höcker in Leer, hier insbesondere mit Josef Hermann Höcker. Der vorliegende Bestand, bei dem es sich zu einem Teil um den in den Besitz von Fokke Pruin gelangten Nachlaß der Familie Höcker handelt, wurde von diesem dankenswerterweise in der Zeit von 1983 bis 1997 in mehreren Abgaben durch Vermittlung von Johannes Diekhoff, Aurich, dem Staatsarchiv übergeben, wo er die Signatur Rep. 227/1 erhielt.

Der Bestand Jungdeutscher Orden besteht aus zwei Teilen, die sich ergänzen: In Rep. 227/1 befinden sich die Unterlagen, die im weiteren Sinne als archivisch zu bezeichnen sind - so

u.a. auch Zeitungen und Zeitungsausschnitte-, während die umfangreiche Büchersammlung zum Jungdeutschen Orden in die Dienstbibliothek (Signaturen X Jungdo) eingeordnet wurde. Die Veröffentlichungen Mahrauns und von Verfassern aus dem Umkreis des Jungdeutschen Ordens, die in Ostfriesland kaum mehr - zumal in dieser Geschlossenheit - greifbar sind, geben einen guten Eindruck vom "Zeitgeist" und den Leseinteressen während der Weimarer Republik.

Um den Zusammenhang der Überlieferung nicht zu zerreißen, wurden ausnahmsweise auch übergebene Gegenstände des Jungdeutschen Ordens (Fahne, Kreuze usw.), die eigentlich musealen Charakter tragen, beim Bestand belassen.

Ergänzende archivische Überlieferung ist dem analytischen Inventar "Archivalische Quellen zur politischen Krisensituation während der Weimarer Zeit in den ehemaligen Territorien des Landes Niedersachsen, Bd. 4, Teil 3: Akten der staatlichen und kommunalen Dienststellen im Regierungsbezirk Aurich", bearbeitet von Rolf Uphoff u.a., zu entnehmen, das Archivalien in anderen Beständen des Staatsarchivs nachweist. Ansonsten empfiehlt sich die Auswertung des Leeraner Anzeigenblatts.



4. Sekundärliteratur in Auswahl:

a) allgemeine Literatur über Artur Mahraun und den Jungdeutschen Orden

- Brockhaus, Stichworte "Jungdeutscher Orden" und "Mahraun"
- Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, 2. Aufl., Darmstadt 1972, S. 297, 453-455
- Peter Steinbach, "Die Übergangszeit ist nichts für uns". Artur Mahraun und sein Wirken bis 1946, in: Gütersloher Beiträge zur Heimat- und Landeskunde, Nr. 32/33, Dezember 1991, S. 671-681


b) Literatur über Artur Mahraun und den Jungdeutschen Orden aus dem Umkreis des Jungdeutschen Ordens selber:

- Klaus Hornung, Die Geschichte des Jungdeutschen Ordens, in: Nachbarschaft Folge 1955/11-12, 1956/1-12, 1957/1-12
- Klaus Hornung,

Der Jungdeutsche Orden. Ein Beitrag zur Geschichte des "Neuen Nationalismus" in Deutschland 1919-1933, Berlin [angekündigt für ca. 1958]
- Heinrich Wolf, Die Entstehung des Jungdeutschen Ordens und seine frühen Jahre 1918-1922 (Beiträge zur Geschichte des Jungdeutschen Ordens, Heft 1), München 1970 (48 S.)
- Heinrich Wolf, Der Jungdeutsche Orden in seinen mittleren Jahren 1922-1925 (Beiträge zur Geschichte des Jungdeutschen Ordens, Heft 2), München 1972 (71 + 8 S.)
- Heinrich Wolf, Der Jungdeutsche Orden in seinen mittlere Jahren (II) 1925-1928 (Beiträge zur Geschichte des Jungdeutschen Ordens, Bd. 3), München 1978 (192 + 10 S.)
- Alexander Kessler, Der Jungdeutsche Orden in den Jahren der Entscheidung (I) 1928-1930 (Beiträge zur Geschichte des Jungdeutschen Ordens, Bd. 4), München 1975
- Alexander Kessler, Der Jungdeutsche Orden in den Jahren der Entscheidung (II) 1931-1933 (Beiträge zur Geschichte des Jungdeutschen Ordens, Bd. 5), München 1976
- Robert Werner, Der Jungdeutsche Orden im Widerstand 1933-1945 (Beiträge zur Geschichte des Jungdeutschen Ordens, Bd. 6), München 1980
- Alexander Kessler, Der Jungdeutsche Orden auf dem Weg zur Deutschen Staatspartei, München 1980
- Ernst Maste, Die Republik der Nachbarn. Die Nachbarschaft und der Staatsgedanke Artur Mahrauns, Gießen 1957
- Helmut Kalkbrenner, Die Staatslehre Artur Mahrauns. Sicher des Friedens in Freiheit durch direkte Demokratie, München 1986
- Wolfgang Lohmüller, Der Jungdeutsche Orden, Faltblatt, München 1987
- Günter Bartsch, Die letzten Jahre Artur Mahrauns 1945 bis 1950 und die Folgen, München 1991
- Wolfgang Zeihe, Artur Mahraun - Politik mit Herz, Kassel 1991 (mit umfangreichem Literaturverzeichnis)
- Hans Hilbk, Gütersloh und der Jungdeutsche Orden Artur Mah-rauns. Ein orts- und ideengeschichtlicher Essay, in: Gütersloher Beiträge zur Heimat- und Landeskunde, Nr. 34/35, Mai 1992, S.

740-751
- Informationsdienst der Artur Mahraun-Gesellschaft, seit 1982 Informationsdienst für direkte Demokratie


c) Literatur über den Jungdeutschen Orden in Ostfriesland

- Bernd Buttjer, Leeraner Juden vor Gericht, in: Frisia judaica, hrsg. von Herbert Reyer und Martin Tielke, 3. Aufl., Aurich 1991, S. 235-262, hier S. 248-250 (mit Foto v. 1926)
- Harm Wiemann, Nachruf für Josef Hermann Höcker + 4. März 1977, in: Ostfriesland. Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft und Verkehr 1977/3, S. 25-28
- Fokke Pruin, Der Jungdeutsche Orden. Gründung, Ziele, maschr. Manuskript, Leer 1984 (Rep. 227/1, Nr. 9)
- Rolf Uphoff, Der Jungdeutsche Orden in Ostfriesland. Eine bürgerliche Rechtsbewegung in der Weimarer Republik aus regionaler Sicht, in: Unser Ostfriesland, 1998, Nr. 14 und 15.


d) Literatur zum "Ring"

- Berthold Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil. Ursprung und Entwicklung des jungkonservativen "Ring-"Kreises 1918 bis 1933, München 1997


September 1997

Dr. Wolfgang Henninger



Nachtrag:
Frau Nelli Martaler hat zu Beginn ihres Praktikums im Staatsarchiv Aurich das maschinenschriftliche Findbuch in izn-AIDA übertragen.

September

2004

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen 

Abgeschlossen: Nein

teilweise verzeichnet