NLA HA Nds. 386

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Grenzdurchgangslager Friedland

Laufzeit 

1945-2003

Bestandsdaten

Geschichte des Bestandsbildners 

1. Historische Entwicklung des Grenzdurchgangslagers (GDL) Friedland

Auf Anordnung der britischen Militärregierung wurde am 20. September 1945 in Friedland ein Lager zur "Durchschleusung und ersten Betreuung der aus der russischen und polnischen Besatzungszone in den Westen strömenden Evakuierten und Flüchtlingen" eingerichtet (Dienstordnung des GDL Friedland vom 1. Juni 1946). Die Entscheidung für die südlich von Göttingen gelegene Gemeinde fiel aufgrund ihrer zentralen Lage zwischen den britischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzungszonen und dem Anschluss an die Bahnstrecke Göttingen-Bebra.

Provisorisch wurden als Unterkünfte neben Zelten und Blechbaracken (Nissenhütten) zunächst die Viehställe des beschlagnahmten Versuchsgutes Friedland der Universität Göttingen auf dem östlichen Leineufer genutzt. Bereits im Spätherbst 1945 wurde der ungünstige Standort aufgegeben und das Lager auf dem westlichen, höher gelegenen Flussufer neu errichtet. Für den Ausbau des Lagers, das mit einem Stacheldrahtzaun abgegrenzt wurde, wurden Baumaterial beschlagnahmt und Kriegsgefangene zwangsverpflichtet.

Das Lager beherbergte bis Ende 1945 über eine halbe Million Flüchtlinge, Vertriebene und Heimkehrer, vorwiegend aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland, und war in den Jahren 1946 und 1947 erste Anlaufstelle für weitere fast 800.000 Menschen. Ursprünglich sollten die Flüchtlinge möglichst nur einen Tag im Lager verbleiben, durchschnittlich betrug die Aufenthaltsdauer aber zwischen zwei und sieben Tagen. In dieser Zeit wurden sie ärztlich untersucht und hatten Anspruch auf Rationen der deutschen Zivilbevölkerung. Unterstützt wurden sie von deutschen wie auch ausländischen Wohlfahrtsverbänden, seit 1957 auch vom Verein Friedlandhilfe.

In den 1950er Jahren begann mit der Familienzusammenführung der Deutschen aus Polen im März 1950 die erste große Aussiedlerwelle ("Operation Link"). Das GDL Friedland diente für diese Menschen sowie für die aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Wehrmachtssoldaten als erster Anlaufpunkt. Für die Heimkehrer und Kriegsgefangenen wurde 1967/1968 auf dem Hagenberg die Friedland-Gedächtnisstätte errichtet.

In den folgenden Jahrzehnten bis heute wurden im GDL Friedland in die Bundesrepublik Deutschland einreisende Übersiedler aus der DDR sowie Spätaussiedler aufgenommen. Für letztere wurde mit der Änderung des Bundesvertriebenengesetztes zum 1. Juli 1990 das Aufnahmeverfahren strenger reglementiert. Sie wurden einem vom Bundesverwaltungsamt durchgeführten Registrier- und Verteilverfahren unterzogen, um sie einem Bundesland zuzuweisen, in dem sie ihren ersten Wohnsitz zu nehmen hatten. Seit 2000 ist das GDL Friedland die einzige Aufnahmestelle für Spätaussiedler bei ihrer Ankunft in der Bundesrepublik.

Neben den Übersiedlern und Spätaussiedlern diente und dient das GDL auswärtigen Flüchtlingen als erste Anlaufstelle in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere infolge politischer und militärischer Krisen in ihren Heimatländern. Zu den Nationalitäten, Völkergruppen und Religionsgemeinschaften zählten u.a.:

- Ungarn (nach dem Ungarischen Volksaufstand 1956)
- Chilenen (nach dem chilenischen Militärputsch im September 1973)
- Vietnamesen (sog. "Boatpeople" ab 1978 nach Ende des Vietnamkrieges)
- Tamilen (ab 1984 nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Sri Lanka)
- Albaner (nach dem Sturz des kommunistischen Regimes in Albanien 1990)
- Juden (aus der ehemaligen Sowjetunion zwischen 1998 und 2000 und ab 2004)
- Iraker (seit März 2009 als Folge der innerirakischen Unruhen)
- Syrer (seit 2013 infolge des Syrischen Bürgerkriegs)

Seit seiner Gründung 1945 war das GDL Friedland für mehr als 4.000.000 Menschen die erste Anlaufstelle in der Bundesrepublik Deutschland und wurde daher als "Tor zur Freiheit" bezeichnet. Ab März 2016 wird das neue "Museum Grenzdurchgangslager Friedland" über die Geschichte der Einrichtung informieren.

2. Organisation und Zuständigkeiten

Zu Beginn übernahm die Leitung des Lagers vor Ort ein unter britischer Militärverwaltung stehender deutscher Offizier. Anfang 1947 wurde die Betreuungsverpflichtung für Flüchtlinge deutschen Behörden übertragen, in Niedersachsen zunächst dem Staatskommissariat für das Flüchtlingswesen, das durch Erlass vom 23. November 1946 eingerichtet wurde und direkt dem Ministerpräsidenten unterstand. Mit Beschluss des Staatsministeriums vom 11. Februar 1948 wurden die Aufgaben und Zuständigkeiten des Staatskommissariats auf das neugegründete Nds. Ministerium für Flüchtlingsangelegenheiten übertragen, das somit auch die Verantwortung für das GDL Friedland übernahm. Dem später mehrfach umbenannten Ministerium (siehe das Vorwort zum Bestand Nds. 380) kam bis zu seiner Auflösung 1994 die Dienst- und Fachaufsicht zu, die danach das Innenministerium (heute: Nds. Ministerium für Inneres und Sport) übernahm.

Das GDL Friedland war zunächst eine eigenständige Behörde im Geschäftsbereich der genannten Ministerien. Zum 1. Januar 2011 wurde als eine obere Landesbehörde die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) im Geschäftsbereich des Ministeriums für Inneres und Sport eingerichtet, in der die bisherigen Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörden in Braunschweig und Oldenburg sowie das GDL Friedland aufgingen. Der Hauptsitz der LAB NI befindet sich in Braunschweig, drei Außenstellen darüber hinaus in Lüneburg, Langenhagen und Oldenburg. Zwei weitere Standorte mit eigenen Leitern sind die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Bramsche sowie das GDL Friedland.

Das GDL Friedland diente bisher vorwiegend als Anlaufstelle für Spätaussiedler und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, zunehmend aber auch für Asylbewerber aus anderen Ländern, die hier ein mehrwöchiges Asylverfahren nach dem Asylverfahrensgesetz und dem Aufenthaltsgesetz durchlaufen.

Verschiedene Hilfsorganisationen wie der Deutsche Caritasverband, die Diakonie Deutschland und die Innere Mission unterhalten auf dem Gelände diverse Einrichtungen zur Unterstützung der Aufgenommenen. Ferner haben der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz Dienststellen im GDL eingerichtet, um die Flüchtlinge über die Umstände ihrer Flucht und die Situation in ihren Herkunftsländern zu befragen.

Stand: November 2015

Bestandsgeschichte 

In den vorliegenden Bestand Nds. 386 sind bislang fünf Ablieferungen eingegangen. Ein erster Zugang von Unterlagen aus dem Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland an das damalige HStA Hannover erfolgte 1983 und 1985. Die Heimkehrerakten (1951-1971) aus der letztgenannten Ablieferung wurden im Rahmen eines DFG-finanzierten Archivierungsmodells 1985-1988 durch das HStA verzeichnet und das Findbuch als Heft 3 der Inventare und kleineren Schriften des HStA Hannover 1992 publiziert (siehe Literaturhinweise). In den Akten geht es vorwiegend um die Anerkennung der Heimkehrereigenschaft nach dem Heimkehrergesetz vom 19. Juni 1950. Sie enthalten vielfach ausführliche Schilderungen von Erlebnissen der Vertriebenen und Kriegsgefangenen.

Bei der im Januar 2004 erfolgten Bewertung des Zugangs Acc. 2004/27 wurden insbesondere Akten zu Bausachen und zur Aufnahme von DDR-Häftlingen und den sog. "Boatpeople" aus Vietnam als archivwürdig betrachtet, ferner eine Auswahl von Unterlagen zur Dokumentation der Pressearbeit des GDL (insg. ca. 0,9 lfd. Meter). Als nicht archivwürdig wurden u.a. Schriftgut zur Dienststellenunterhaltung und zum Haushalt sowie zusammenfassende Statistiken und Jahresberichte beurteilt, da diese teilweise aus übergeordneten Behörden übernommen worden sind. Anlässlich der Bewertung wurde zudem die Zuständigkeit für die historisch wertvolle Kartei der seit 1945 geführten Registrierscheine, die seit den 1990er Jahren in der Außenstelle Friedland des Bundesverwaltungsamtes verwahrt wurde, geklärt: Für die Übernahme dieser Kartei wie auch weiterer Aussiedler- und Heimkehrerakten, die Anfang der 1990er Jahre an die Außenstelle des Bundesverwaltungsamts in Friedland gelangten, ist das Bundesarchiv verantwortlich.

Im Mai 2009 wurde das Original der Lagerchronik, deren Abgabe seitens des GDL 2004 abgelehnt worden war, bewertet und als archivwürdig eingestuft. Der erste Band (1945-1960) wurde als Acc. 2009/066 Nr. 1 zusammen mit einem Digitalisat sofort als Archivgut übernommen, der zweite, noch nicht vollständig gefüllte Band zwar bereits als Archivgut eingestuft, zunächst aber noch im GDL belassen.

Eine bisher letzte Übernahme von Akten (13 Nummern, Acc. 2012/146) erfolgte im Oktober 2012 über das damalige Staatsarchiv Wolfenbüttel.

Stand: November 2015

Enthält 

Bau- und Grundstücksverwaltung, Betreuung ehemaliger DDR-Häftlinge (Karteien), Aufnahme von Vietnam-Flüchtlingen, Lagerorganisation, Zu- und Abgänge betreuter Jugendlicher, Akten zu einzelnen Lagerinsassen

Literatur 

Anna Haut, Das Durchgangslager Friedland bei Göttingen. Schleuse für die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen in Niedersachsen (1945-1949), in: Barbara Magen/Natalie Reinsch (Hg.), Vom Ihr zum Wir. Flüchtlinge und Vertriebene im Niedersachsen der Nachkriegszeit, Hannover 2021 (Schiftenreihe des Museumsverbandes Niedersachsen e.V. 5), S. 24-31.

Christian Helbich, 1959/1960. „Tor zur Freiheit“. Das Grenzdurchgangslager Friedland und das Schicksal einer Spätheimkehrerin, in: Christine van den Heuvel / Gerd Steinwascher / Brage Bei der Wieden (Hg.), Geschichte Niedersachsens in 111 Dokumenten (Veröffentlichungen des Niedersächsichen Landesarchivs 1), Göttingen 2016, S. 420–423.

Joachim Baur / Lorraine Bluche (Hg.), Fluchtpunkt Friedland, Über das Grenzdurchgangslager 1945 bis heute, Göttingen 2017.

Sascha Schießl, "Das Tor zur Freiheit". Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970) (Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen 31), Göttingen 2016.

Regina Löneke / Ira Spieker (Hg.), Hort der Freiheit. Ethnografische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland (Begegnungen und Zeitzeugnisse), Göttingen 2014.

Dirk Lange / Sven Rößler, Repräsentationen der Migrationsgesellschaft. Das Grenzdurchgangslager Friedland im historisch-politischen Schulbuch, Baltmannsweiler 2012.

Sascha Schießl, Das Lager Friedland als "Tor zur Freiheit". Vom Erinnerungsort zum Symbol bundesdeutscher Humanität, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 84 (2012), S. 97-122.

Derek John Holmgren, "Gateway to Freedom" and Instrument of Order. The Friedland Transit Camp. 1945-1955, Chapel Hill 2010.

Jürgen Gückel, 60 Jahre Lager Friedland. Zeitzeugen berichten, Göttingen 2005.

Niedersächsisches Innenministerium (Hg.), Grenzdurchgangslager Friedland. 1945 - 2000, Hannover 2001.

Niedersächsisches Innenministerium (Hg.), Grenzdurchgangslager Friedland. 1945 - 1995, Hannover 1995.

Dagmar Kleineke, Entstehung und Entwicklung des Lagers Friedland 1945 - 1955, Göttingen 1994.

Jürgen Asch u.a. (Bearb.), Findbuch zum Auswahlbestand Nds. 386: Grenzdurchgangslager Friedland, acc. 67/85.1951-1973 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung. Inventare und kleinere Schriften des Hauptstaatsarchivs in Hannover 3), Hannover 1992.

Wilhelm Tomm, Bewegte Jahre, erzählte Geschichte. Evangelische Diakonie im Grenzdurchgangslager Friedland 1945 bis heute, Friedland 1992.

Friedlandhilfe e.V. (Hg.). 25 Jahre Friedlandhilfe e.V. - Deutsche helfen Deutschen, Friedland 1982.

Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hg.), 20 Jahre Lager Friedland, Heidelberg 1965.

Homepage des GDL Friedland

Findmittel 

EDV-Findbuch (2021)

Siehe

Korrespondierende Archivalien 

Weitere Akten aus dem GDL Friedland und der Außenstelle Friedland des Bundesverwaltungsamtes werden im Bundesarchiv (Koblenz) verwahrt, u.a. in folgenden Beständen:
- B 106 (Bundesministerium des Innern): hier v.a. unter der Hauptgruppe 9 (Angelegenheit der Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler und Kriegsgeschädigte);
- B 150 (Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte);
- B 311 (Bundesverwaltungsamt)

Weitere Angaben (Bestand)

Umfang in lfd. M. 

20,7

Bearbeiter 

Dr. Christian Helbich (2015)

Benutzung 

Das Archivgut kann im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover unter Berücksichtigung der Einhaltung von Schutz- und Sperrfristen nach §5 Niedersächsisches Archivgesetz (NArchG) eingesehen werden.

Georeferenzierung

Bezeichnung 

Friedland [Wohnplatz]

Zeit von 

1

Zeit bis 

1

Objekt_ID 

609

Ebenen_ID 

1

Geo_ID 

1-609

Link 

Friedland [Wohnplatz]