Identification (short)
Title
Rudolph und Hermann Stickelmann
Life span
1900-1974
Fonds data
History of creator
Rudolph Stickelmann wurde 1870 in der Bremer Neustadt geboren, stammte aus einer Zigarrenmacherfamilie. Seit 1894 ist er als Graveur nachweisbar, seit 1901 dann nach Selbststudium als selbstständiger Fotograf. 1904 gründete er seine "Photographische Kunstanstalt" in der Meyerstraße … und wurde zu einer Größe in der bremischen Fotografenszene. 1914 stellte er auf der Deutschen Werkbundausstellung in Köln aus. In den 1930er Jahren wurde er zum Vorsitzenden der Meisterprüfungskommission ernannt. Er unternahm zahlreiche Reisen, u.a. Schiffsreisen nach Amerika und Schweden.
Rudolph Stickelmann hatte drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Der eine, Georg (1900-1980), wurde Bildhauer, der andere, Hermann (1901-1973), trat 1916 in die Lehre bei seinem Vater ein, wird 1937 Teilhaber und übernahm 1956 nach dem Tod des Vaters das Geschäft. Hermanns Sohn Jochen hat seine Ausbildung zum Fotografen ebenfalls im väterlichen Geschäft absolviert. 1973 übernahm er die Fa. Stickelmann. Aufgrund bereits seit längerer Zeit bestehender finanzieller Schwierigkeiten ging das Unternehmen 1975 jedoch in die Insolvenz.
Die erhalten gebliebenen rund 19.000 Glas- und Filmnegative der Fotografenfamilie Stickelmann wurden zusammen mit einigen Utensilien aus der Fotografenwerkstatt 1976 vom Staatsarchiv aus der Konkursmasse erworben und in die Bildsammlung übernommen. Der Bestand bildet einen wesentlichen Schwerpunkt der Bildsammlung des Staatsarchivs für mehr als die Hälfte des 20. Jahrhunderts. Überliefert sind neben den Fotografien auch schriftliche Dokumente: unter anderem Auftragsbücher, Briefe, Rechnungsschreiben und Steuerunterlagen vor allem aus den 1930-1970er.
Mit Rudolph Stickelmann sehen wir uns einem Fotografen gegenüber, der sich mit Architekturaufnahmen genauso erfolgreich beschäftigte wie auch mit dem Landschaftsgenre - er lichtete u.a. die Heide, das Teufelsmoor, das Oldenburger Land ab - sowie der Schiffs- und Industriefotografie. Er fertigte Reproduktionen von Kunstwerken für die Bremer Kunsthalle an und auch befreundete Worpsweder Maler ließen sich und ihre Werke von ihm ablichten.
Unterwegs mit seinem kleinen Lieferwagen und seiner Laufbodenkamera aus Holz, also der Reisekamera wie sie zur Zeit der Jahrhundertwende üblich war, stellen wir uns Rudolph Stickelmann als einen den technischen Neuerungen der Zeit aufgeschlossenen modernen Menschen vor.
Für einen Augenblick entgleitet uns dieser Aspekt gerne aus dem Blickfeld. Auch die auf den historischen Aufnahmen dargestellte Architektur, die sich uns heute streckenweise romantisch oder einfach nur schön anmutet, waren zu einem nicht unbeträchtlichen Teil modernste Bauwerke ihrer Zeit. Gebäude wie etwa das der Gesellschaft Museum, das Überseemuseum, das alte Parkhaus (als Teil der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung von 1890), der Egestorff-Stift oder auch das "Bremer Haus", Gebäude, die das Stadtbild lange prägten und teilweise bis heute prägen - sie sind Zeugnisse der neuesten Errungenschaften ihrer Zeit. Die Böttcherstraße, wie wir sie heute kennen, entstand in den 1920er Jahren. Im fotografischen Nachlass Stickelmanns findet sich eine Serie des damals neu entstandenen Ensembles, aber eben auch eine Aufnahme der ursprünglichen Gasse aus der Zeit um 1900.
Auch wenn sich im Gesamtwerk Rudolph Stickelmanns keine Arbeiten aus dem gesellschaftlichen Leben der Stadt finden, so hat er dieses dennoch nicht gemieden. Immer wieder lässt er unaufdringlich den Alltag der Stadt, die Bewohner, das Geschehen dieser Zeit in seine Aufnahmen mit einfließen.
Stickelmann war ein eher statischer Fotograf, der wenig mit der Handkamera (Leica) arbeitete. Gebäude und Räume hat er ganz im Sinne der Architekturfotografie dokumentiert, unter Ausnutzung möglichst natürlicher Lichtverhältnisse, zentralperspektivisch vom Standpunkt eines menschlichen, sich in der Umgebung des Bauwerkes bewegenden Beobachters, oder vogelperspektivisch von einer erhöhten Position aus.
Stickelmann war geprägt von der Kunstfotografie einer Reformbewegung um 1900 (etwa 1880-1920), deren gedankliche Grundlage die Aussage war, dass "bloßes Auslösen [...] keine Kunst" sei. Damit war gemeint, dass ein Bild zu einem Bild wird durch die Wahl des Objektivs, des Standpunktes, der Lichtführung und die Entschlussfreudigkeit zur Komposition. Er stellte sich jedoch nicht nur der Herausforderung der künstlerischen Weiterentwicklung durch die Auseinandersetzung mit den sich verändernden Bildauffassungen. Stickelmann setzte sich auch mit den aktuellen technischen Errungenschaften auseinander, etwa den neu entwickelten Verfahren der Farbfotografie, nahm an Seminaren des in Berlin ansässigen Nicola Perscheid teil, der sich um die Jahrhundertwende einen Namen als "Kunstfotograf" gemacht hatte. Beide blieben auch später fachlich wie freundschaftlich verbunden, wie Briefe aus den 1920er Jahren zeigen.
Die Fotografie Anfang des 20. Jahrhunderts war nicht mehr nur der Faszination und dem Streben nach Darstellung der Realität gewidmet, wie in den ersten Jahrzehnten der Fotografie. Die bloße Möglichkeit mit Hilfe von Kameras und Negativen ein Abbild der Realität schaffen zu können, war bereits der grundsätzlichen Frage "Was ist Wahrheit?" und der damit zusammenhängenden Neuinterpretation sowie der Auslotung der Grenzen im technischen als auch im gedanklich interpretatorischen Sinne gewichen.
Beeinflusst auch von den Thesen des Fototheoretikers Peter Henry Emerson (1889) über das Abbilden von Realität, dem Abbilden menschlichen Sehens, und der Fotografie als Kunst hat Rudolph Stickelmann einerseits dokumentarisch, andererseits (in der "Not") alle Möglichkeiten der Handwerkskunst ausschöpfend gearbeitet. Als Beispiel dafür kann man das Foto des Rolands durch den Bogen der Rathausarkaden betrachten. Ein schönes Bild, aber schon damals nicht realisierbar, da die Rathausarkaden durch eine eiserne Querverstrebung gestützt werden. Doch durch eine Ineinanderbelichtung ist dieses Postkartenmotiv dennoch entstanden. Den hohen Informationswert nutzend erlebte die fotografierte Postkarte Ende des 19. Jahrhunderts ihre erste Blütezeit und wurde ein auch von Fotografen wie Rudolph Stickelmann beachtetes Arbeitsfeld.
In weiten Teilen seiner Arbeit hat er sich allerdings an die bis heute geltenden strengen Richtlinien der Dokumentar- und Reportagefotografie gehalten, die inhaltliche Korrekturen jedweder Form ablehnen. Nur selten bricht sein Interesse an der freien Interpretation durch. Mit Akribie und Fleiß hat er uns ein umfassendes Bild der Stadt seiner Zeit hinterlassen.
Custodial history
Der Bestand wurde nach dem Erwerb 1976 in die Bildkartei des Staatsarchivs eingearbeitet. Die Neuordnung und -verzeichnung erfolgte seit 2015 und wurde im August 2018 abgeschlossen.
August 2018
33-1, Boris Löffler-Holte
Includes
Architekturaufnahmen im Auftrag der bremischen Commission für die Erhaltung der Baudenkmäler - Reproduktionen von Kunstwerken im Auftrag der Kunsthalle Bremen - Industrie- und Produktfotografie - Innenausstattungen von Schiffen des Norddeutschen Lloyd - Landschaften - Künstler und ihre Werke - Dokumentation der Schäden durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg - Dokumentation der Arbeit der Feuerwehren
Further information (fonds)
Size in m
ca. 20 m (17.000 Aufnahmen)
Access
Die Bildrechte liegen beim Staatsarchiv Bremen.