StAB 4.89/5

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Staatsanwaltschaft beim Landgericht - Hauptverfahren vor dem Sondergericht

Laufzeit 

1940 - 1950

Bestandsdaten

Geschichte des Bestandsbildners 

Geschichte und Aufgaben des Sondergerichts Bremen
Die Sondergerichte waren ein justizielles Instrument im Kampf der Nationalsozialisten gegen ihre politischen Gegner. Schon die Tatsache, dass sie bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme dauerhaft eingerichtet wurden, zeugt von ihrer elementaren Bedeutung im Kontext von Machtaufbau und Machterhalt. Sie dienten der Verfolgung (vermeintlich) politischer Gegner, indem sie auf größtmögliche Schnelligkeit ausgelegt waren (der Verhandlungstermin sollte spätestens 2 Wochen nach Eingang der Anklageschrift stattfinden ) und die Rechte der Angeklagten stark einschränkten. Die Urteile von unmittelbarer Rechtskraft, gegen die keine Revisionen möglich waren, konnten daher "im Schnellverfahren" verkündet und die verhängten Strafen vollstreckt werden.

Zunächst waren die Sondergerichte vor allem zuständig für die in der "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.02.1933" ("Reichstragsbrandverordnung") sowie der "Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung" (HeimtückeG) vom 21.03.1933 bezeichneten Verbrechen und Vergehen. Viele der Verfahren im Bestand 4,89/5 richten sich daher gegen Verstöße nach den genannten Rechtsvorschriften.
Die nationalsozialistischen Sondergerichte wurden zwar bereits sieben Wochen nach der Machtergreifung aufgrund der Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.03.1933 (RGBl. I S. 136) eingerichtet, allerdings wurde zunächst nur ein Sondergericht für den Bezirk jedes Oberlandesgerichts gebildet. Da Bremen gerichtsverfassungsrechtlich zum Bezirk des Oberlandesgerichts Hamburg gehörte, hatte die Staatsanwaltschaft Bremen Strafsachen, die in die Zuständigkeit der Sondergerichte fielen, zunächst an das Sondergericht Hamburg abzugeben. Erst durch Allgemeinverfügung des Reichsministeriums vom 11.03.1940 kam es zur Bildung eines Sondergerichts beim Landgericht Bremen.
Ältere Sondergerichtsverfahren aus der Zeit vor 1940, die Bremen betreffen, sind daher zu einem wesentlichen Teil im Bestand 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht - Strafsachen) des Staatsarchivs Hamburg nachgewiesen.

Nach Kriegsbeginn wurde den Sondergerichten durch die Reichsjustizverwaltung auch die Zuständigkeit für die Verfolgung von Verstößen gegen die während der Kriegszeit erlassenen Gesetze übertragen. Zudem wurde die Zahl der Sondergerichte erhöht. In der "Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafrechtliche Vorschriften" vom 21. Februar 1940 (RGBl. I S. 405) ist insbesondere in § 13 die Zuständigkeit der Sondergerichte geregelt.
Im Zuge dieser Neuerungen kam es im Bezirk des OLG Hamburg zur Einrichtung eines zweiten Sondergerichts neben dem bestehenden Sondergericht Hamburg beim Landgericht Bremen. Am 30. März 1940 wurde durch den Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts die Besetzung des neu geschaffenen Sondergerichts Bremen mitgeteilt . Demnach führte Dr. Rüther als Landgerichtspräsident formell den Vorsitz. Praktisch nahm jedoch Landgerichtsdirekter Dr. Warneken, dessen Personalakte sich im Staatsarchiv Bremen befindet , als regelmäßiger Vertreter den Vorsitz wahr. Die Staatsanwaltschaft wurde meist durch den Ersten Staatsanwalt Dr. Waldemar Seidel oder Staatsanwalt Dr. Erich Zander (PA StAB 4,10 - Akz. 52 - 8) verrichtet. Insgesamt waren am Sondergericht Bremen 13 Richter und 11 Staatsanwälte tätig .

Wegen der hohen Arbeitsbelastung des Sondergerichtes, das zeitweise vier Sitzungen pro Woche abhielt, wurde am 28. Juli 1942 die Einrichtung einer Zweiten Kammer verfügt. Die Zweite Kammer sollte jede dritte beim Sondergericht Bremen eingehende Sondergerichtssache übernehmen und alle 14 Tage eine Sitzung abhalten. Noch im selben Jahr, am 02. Oktober, wurde die Verfügung jedoch wieder aufgehoben und die Zweite Kammer aufgelöst, da die Hinzuziehung einer zweiten Kammer nun nicht mehr erforderlich war .
Das Sondergericht hatte Bestand bis zur Stilllegung der bremischen Justiz durch die alliierten Truppen am 27.04.1945. Die letzte Verkündung eines Urteils durch das Sondergericht Bremen erfolgte am 24.04.1945 . An diesem Tag waren Teile der Stadt (Mahndorf, Arbergen) bereits von britischen Truppen eingenommen. Aus manchen Akten ergibt sich, dass Verhandlungen derart von Fliegerangriffen gestört wurden, dass sie erst nach einer Unterbrechung fortgeführt werden konnten. Sofern die Gefahrenlage es jedoch wieder zuließ, wurde die Arbeit stets wieder aufgenommen.
Bei Durchsicht der Verfahrensakten vom Sondergericht Bremen fällt besonders die Strenge der Urteile auf. Nach dem heutigen Verständnis "leichte" Delikte wurden teilweise mit unverhältnismäßig hohen Strafen belegt. Zahlreich sind beispielsweise die Fälle, in denen bereits der Diebstahl kleiner Mengen an Lebensmitteln oder gar einzelner Bonbons oder Kekse unter Ausnutzung der Verdunkelung mit Zuchthausstrafen belegt wurden. Zur Fällung wahnwitziger Urteile kam es auch im Bereich der Äußerungsdelikte, bei denen bereits die Behauptung, eine andere Person habe sich beispielsweise pessimistisch zur Kriegslage geäußert, zu ihrer strafrechtlichen Verfolgung führen konnte.

Insgesamt wurden in 536 Verfahren 911 Personen, davon waren 680 männlich und 231 weiblich, angeklagt. 65 Angeklagte waren minderjährig, 173 waren ausländischer Herkunft (v.a. Zwangsarbeiter). Todesurteile wurden in 55 Fällen verkündet, allerdings nur in 43 Fällen vollstreckt. 5 Hinrichtungen konnten aufgrund des Kriegsendes nicht mehr erfolgen . Unter den Todesurteilen ist auch der sehr bekannte Fall des zum Tatzeitpunkt 16-jährigen Polen Walerjan Wrobel, der wegen Brandstiftung zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, zu finden . Der Verurteilte war stellvertretend für Viele der Namensgeber des Vereins Walerjan Wrobel, der sich für die Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern einsetzte.
Grundsätzlich fällt auf, dass im Verlauf des Krieges immer höhere Strafen verhängt wurden. Aufgrund der zunehmenden zeitlichen Nähe zum Kriegsende kam es jedoch immer häufiger nicht mehr oder nur teilweise zu einer Vollstreckung der Urteile. Wurden verhängte Haftstrafen zum Zeitpunkt des Kriegsendes gerade verbüßt, so kam es meist zur Entlassung der Gefangenen durch die einmarschierenden alliierten Truppen. Da die Strafvollstreckungen jedoch an zahlreichen verschiedenen Orten erfolgten, unterscheiden sich die Zeitpunkte und Umstände der Entlassungen.

Bestandsgeschichte 

Der etwa 11,5 lfd. Meter umfassende Bestand 4,89/5 enthält die Akten zu 539 Verfahren vor dem Sondergericht Bremen aus den Jahren 1940 - 1945.
Bereits mit Ablauf der Aufbewahrungsfristen einzelner Verfahren 1976 erfolgten seitens des Staatsarchivs Bemühungen, bei der Staatsanwaltschaft Bremen die Ablieferung der noch vorhandenen Sondergerichtsakten zu erwirken. Nach mehrjährigen Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft erfolgte eine erste Ablieferung schließlich am 05.04.1979, eine weitere folgte am 05.07.1979 . Da grundsätzlich alle Verfahren als archivwürdig betrachtet wurden, erfolgten keinerlei Kassationen.
Bereits in den 1980er Jahren begann im Rahmen eines Forschungsauftrags des Senators für Rechtspflege und Strafvollzug die systematische Benutzung des Bestandes zur umfassenden Untersuchung der Tätigkeit des Sondergerichts Bremen. Im Jahre 1991 erschien der erste Band der dabei entstandenen Dokumentation, zwei weitere wurden 1994 veröffentlicht .
Nach der Ablieferung der Akten an das Staatsarchiv kam es im Zuge von Rehabilitationsverfahren mehrfach zur Ausleihe oder Einsichtnahme von Akten durch die Staatsanwaltschaft Bremen . Sofern es dabei beispielsweise zur Aufhebung von Urteilen kam, kann sich die Laufzeit der Akten daher in manchen Fällen bis in die 2000er Jahre erstrecken. Entsprechend angepasste Schutzfristen sind bei der Benutzung zu beachten.
Die Verfahrensakten des Sondergerichts sind von ihrem Aufbau her "klassischen" Verfahrensakten sehr ähnlich: Sie bestehen in der Regel aus den Ermittlungsakten, den Handakten der Staatsanwaltschaft, Sonderakten, Beiakten, Vollstreckungs- und ggf. Gnadenheften. Diese auch physisch vorhandene Trennung der einzelnen Bestandteile der Verfahrensakten wurde auch in den letzten Kriegswochen noch beibehalten.

Als Findmittel für den Bestand 4,89/5 war zunächst nur eine dreibändige Dokumentation, herausgegeben vom Senator für Justiz und Verfassung, "Strafjustiz im Totalen Krieg - Aus den Akten des Sondergerichtes Bremen 1940 - 1945", erschienen im Steintor Verlag, bearbeitet u.a. von Hans Wrobel, Bremen 1991 - 1994, vorhanden. Sie beschäftigt sich mit jedem einzelnen Verfahren und gibt den Akteninhalt zumeist sehr ausführlich wieder. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt, Anfang der 1990er Jahre, noch in fast keinem Fall abgelaufenen Schutzfristen, ist dieser anonymisiert dargestellt. Die Dokumentation diente zunächst zugleich auch als Ersatz für die Vorlage der Originale.
Zur Verzahnung zwischen dem Bestand und der Publikation gab es zusätzlich ein Findbuch, das jedoch nur das Aktenzeichen, die namentliche Erfassung der (Haupt-)Angeklagten sowie die Bestandssignatur enthielt.
Das vorliegende Findbuch ersetzt dieses und ergänzt es inhaltlich. Die vorgenommene Bearbeitung erstreckte sich von November 2012 bis Juli 2013. Bei jedem Verfahren wurden nun alle Angeklagten namentlich mit ihren Lebensdaten erfasst. Die ihnen vorgeworfenen Vergehen wurden kurz zusammengefasst, wobei stets nur die Betrachtungsweise der Anklage widergegeben wurde. In keinem Fall deckt sich diese mit der des Bearbeiters. Bezeichnungen, die in einem engen Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ideologie stehen, wurden vermieden oder durch Anführungszeichen kenntlich gemacht.

Es folgt das verhängte Urteil mit dem Tag der Urteilsverkündung sowie ggf. näheren Informationen zur Strafvollstreckung. Diese erfolgte je nach Anzahl der Verurteilten oder Strafmaß in einem unterschiedlich intensiven Maße. In nicht wenigen Fällen ist zudem auch das Datum der Aufhebung des Urteils, zu der es häufig erst in den 1990er oder 2000er Jahren kam, aufgenommen. Neben den Registratursignaturen wurden zudem die Verweise auf die Darstellung der Fälle in der Publikation aufgenommen. Bei den jeweils angegebenen Laufzeiten der Akten fallen häufig Lücken auf. Diese erklären sich entweder aus einer sich über Jahre hinziehenden Strafvollstreckung oder aus späteren Einsichtnahmen der Akten z.B. im Zuge von Rehabilitationsverfahren heraus. Von einem Herausfiltern "interessanter Fälle" anhand des Kriteriums Laufzeit ist allerdings abzuraten, da beispielsweise bei der Verhängung von Todesstrafen die Laufzeit in der Regel schon bald nach der Urteilsvollstreckung endet. Fand die Urteilsverkündung nur wenige Tage vor dem Einmarsch der alliierten Truppen in Bremen statt, so wurde mit einer Bemerkung auf diese Tatsache hingewiesen.

Die Schutzfristen zu den Akten sind jeweils mit angegeben, wobei in den Fällen, in denen die personenbezogene Schutzfrist Anwendung finden musste, die nach dem Gesetz zur Änderung des Bremischen Archivgesetzes vom 21. Mai 2013 (Brem.GBl. S. 166) 100 Jahre umfassende Frist angesetzt wurde. Sie ergibt sich in der Regel aus den Geburtsdaten der Angeklagten, so dass auch ohne Einsichtnahme der Akten die Sperrfristen in vielen Fällen überprüfbar sind.
Eine Überarbeitung der inneren Ordnung des Bestandes erfolgte im Rahmen der Bearbeitung nicht. Da die vorhandene Klassifikation beibehalten wurde, ist somit nach wie vor anhand des Findbuchs eine systematische Recherche beispielsweise nach der Art der Delikte möglich.
Neben einer neuen Verzeichnung des Bestandes zur Vereinfachung der Benutzung war aus verschiedenen Gründen zudem eine Neuverpackung nötig. Die Verfahrensakten, die zuvor im Originalzustand belassen wurden, waren durch die häufige Benutzung bereits erheblich beschädigt. Die ursprüngliche, geordnete Heftung war weitgehend beschädigt, so dass sich die Akten zunehmend als eine lose Ansammlung von teilweise bereits eingerissenen Blättern darstellten. Es wurden daher alle Akten neu geheftet. Sofern Paginierungen vorhanden waren, wurde versucht, die ursprüngliche Ordnung wiederherzustellen. In den Fällen, in denen die Fadenheftung noch einen wesentlichen Teil der Akte zusammenhielt, wurde jedoch aus praktischen Gründen von einer neuen Heftung abgesehen. Sofern Aktenumschläge im Zuge der Umbettung aufgelöst werden mussten, wurde durch Abtrennung des Aktendeckels sichergestellt, dass die ursprüngliche Struktur der Akten weiterhin ersichtlich ist. Besonders umfangreiche Akten wurden in mehrere Bände geteilt, um eine handlichere Benutzung sowie die Lagerung in säurefreien Mappen zu ermöglichen.

Enthält 

Verstöße gegen das Heimtückegesetz und die Rundfunkverordnung - Kanzelmissbrauch - Verfahren nach der Verordnung gegen Volksschädlinge, z.B. wegen Plünderung, wegen Eigentumsdelikten bei Aufräumarbeiten nach Luftangriffen und Diebstahl aus beschädigten Gebäuden, wegen unter Ausnutzung der zur Abwehr der Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen begangenen Delikten, wegen Eisenbahn- und Postdiebstahl - Kriminalität allgemein, insbesondere von Ausländern - Wehrkraftzersetzung - Verleitung und Beihilfe zur Fahnenflucht - Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen - Sabotage und Gehorsamsverweigerung - Kriegswirtschaftsvergehen, z.B. Manipulationen mit Bezugsberechtigungen (Lebensmittelkarten), Schwarzschlachten

Literatur 

Strafjustiz im totalen Krieg. Aus den Akten des Sondergerichts Bremen 1940-1945, hrsg. vom Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, bearb. von Hans Wrobel und Henning Maul-Bakker, 3 Bände, Bremen 1991-1994; Christoph Schminck-Gustavus, Das Heimweh des Walerjan Wrobel. Ein Sondergerichtsverfahren 1941/42, Berlin/Bonn 1986.

Siehe

Korrespondierende Archivalien 

Der Bestand 4,10 enthält die Personalakten mehrerer an den Verfahren beteiligter Richter und Anwälte (StAB 4,10 - Akz. 63 - 24 bis 28; StAB 4,10 - Akz. 52 - 8).
Der Bestand 4,44/3 - Landgericht Generalakten enthält eine Akte zur Einrichtung und Besetzung des Bremer Sondergerichtes sowie zu Zuständigkeits- und Verfahrensfragen (4,44/3 - 357).

Weitere Angaben (Bestand)

Umfang in lfd. M. 

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