Drucken

WirtA NW WAN F 2

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Ostfriesische Heringsfischereigesellschaften

Laufzeit

1874 - 1978

Bestandsdaten

Kurzbeschreibung

Die Akten der Emder Heringsfischerei GmbH wurde von Herrn Johannes Sonntag, dem ehemaligen stellvertretenden Direktor der Naturforschenden Gesellschaft zu Emden von 1814, an den Leiter des Staatsarchivs Aurich (Niedersächsisches Landesarchiv) , Herrn Prof. Dr. Parisius, übergeben. Die Naturforschende Gesellschaft - so Herr Sonntag - habe den Bestand gerettet. Der Bestand lagerte zunächst im Staatsarchiv Aurich. Von dort aus wurden die Akten dem Wirtschaftsarchiv Nord-West-Niedersachsen in Emden überlassen und schließlich im Rahemen des Projekts "ostfriesiche Heringsfischerei" fertig erschlossen und verzeichnet.

Beschreibung

Der Bestand besteht aus historischem Aktenmaterial der ostfriesischen Heringsfischereien und ihren Geschäftsbeteiligungen aus der Zeit von 1874 bis 1978. Darin erhalten sind u.a. Protokolle von Sitzungen des Aufsichtsrats, Unterlagen der Geschäftsführung, Geschäftsbücher, Steuer- und Zollangelegenheiten, Grundstückssachen, Geschäftsberichte, Bilanzen, technische Zeichnungen, Bauzeichnungen, Protokolle, Steuerangelegenheiten, Personalangelegenheiten, Fangergebnisse, Rechtssachen, Gastarbeiterangelegenheiten, Havarien, Inventurlisten, Gesellschafterversammlungen, Flottenangelegenheiten, Reiseberichte und einige Fotoaufnahmen.
Der Bestand erlaubt einen tieferen Einblick in die Unternehmensgeschichten der Emder Heringsfischerei A.G./GmbH, Großer Kurfürst Heringsfischerei A.G./GmbH, Heringsfischerei "Dollart" A.G., Leerer Heringsfischerei A.G./GmbH. Zusätzlich finden sich umfangreiche Informationen zu den Geschäftsbeteiligungen der Fischereien an folgenden Gesellschaften: das Fischereihaus GmbH in Bremen, die Woldemar Fischverarbeitung in Emden, G.M. Daneker & Söhne Fischverarbeitungs GmbH in Emden, der Emder Salzheringsvertrieb, die Kühlhaus St. Pauli GmbH in Hamburg und die Deutsche Heringshandelsgesellschaft mbH. Zudem lassen sich die engen Verbindungen zu anderen ostfriesischen Unternehmen, wie z.B. der Werft Schulte & Bruns, nachverfolgen.

Geschichte des Bestandsbildners

Die Vorgeschichte
Die Geschichte der ostfriesischen Heringsfischerei begann spätestens am Ende des Mittelalters, als sich die Fischerei und Salzheringsproduktion von der Ostsee in die Nordsee verlagerte. Dabei handelte es sich in erster Linie um Küstenfischerei. Küstenferne Fischerei wurde erstmals um 1550. Sie brachten Schiffe, die sogenannten Buisen, und ihr Wissen über Heringsfischerei auf hoher See mit in die Stadt. Die erste Phase des kommerziellen Heringsfangs endete 1648, als viele Niederländer nach dem Ende der Befreiungskriege in ihr Land zurückkehrten. 1769, in der ersten Preußenzeit Ostfrieslands, wurde die Emdener Herings-Compagnie gegründet, um den kommerziellen Heringsfang in Emden wieder aufleben zu lassen. Knapp 100 Jahre konnte sie sich die Heringsfischerei in Emden halten. Die Emder Herings-Compagnie wurde am 27. November 1810, bedingt durch die napoleonischen Kriege und die damit verbundenen Folgen der Kontinentalsperre, aufgelöst. Emder Kaufleute nutzten die Gelegenheit zum Erwerb ihrer Schiffe und Landanlagen. Sie gründeten eigene Heringsfischereien, in der Hoffnung an die guten Geschäfte der Vorkriegszeit anknüpfen zu können. Doch Ostfriesland ging 1815 nicht wie von vielen erwartet zurück an Preußen, sondern an das Königreich Hannover. Die wirtschaftlichen Verhältnisse wurden dadurch ungleich schwieriger. Die erhofften Gewinne blieben aus. In letzter Konsequenz mussten die Fischereien schrittweise aufgelöst werden, so dass bis 1858 alle Emder Buisen verkauft waren. In den Niederlanden wurden ab 1857 damit begonnen die schwerfälligen Buisen durch Logger zu ersetzten. Diese waren nach Vorbild der Fischerboote der französischen Kanalfischer gebaut worden und konnten durch ihre hohe Geschwindigkeit vier bis fünf Fangreisen jährlich durchführen. Mit den neuen Loggern und andere technische Neuerungen, wie z.B. deutlich größere Baumwollnetze, konnte die Rentabilität und damit die Profite der Heringsfischerei deutlich gesteigert werden.

Die Gründerzeit
Der Erfolg der niederländischen Heringsfischereien blieb den ostfriesischen Nachbarn nicht verborgen. Sie kopierten ihr Vorbild in dem sie 1872 die Emder Heringsfischerei A.G. gründeten. Zunächst wurden sechs in Holland gekaufte Segellogger auf Fangreisen geschickt. Aufgrund erster Erfolge wuchs die Flotte bis 1893 auf 25 Einheiten. Trotzdem geriet die Emder Heringsfischerei in finanzielle Schwierigkeiten. Der preußische Staat musste einspringen und unterstütze die Heringsfischerei massiv mit zinslosen Krediten und direkten Subventionen. Die Loggerfischerei war fortan während ihrer gesamten Existenz auf staatliche Subventionen angewiesen. Aufgrund der staatlichen Beihilfen wurden die Heringsfischerei ein attraktiveres Geschäftsfeld, so dass in Emden und Leer bald weitere Heringsfischereien gegründet wurden: Die Heringsfischerei "Dollart" A.G. (1899), die "Großer Kurfürst" Heringsfischerei A.G. und die Leerer Heringsfischerei A.G. (1905). 1895 siedelte die Heringsfischerei Aktiengesellschaft "Neptun" aus den Niederlanden nach Emden über. Bis 1909 hatte sie bereits 30 Logger im Einsatz. Obwohl die "Neptun" durchaus erfolgreich war, kam es zu einem jähen Ende, ein Großbrand zerstörte am 4. Januar 1914 die gesamten Landanlagen und Ausrüstung der Fischerei. Von diesem Schlag konnte sich die Aktiengesellschaft nicht erholen, so dass am 1. Februar 1914 die Auflösung der Gesellschaft beschlossen werden musste.

Die Weltkriege
Durch die Seeblockade der Royal Navy kam die Loggerfischerei im Ersten Weltkrieg vollständig zum Erliegen. Die Dampf- und Motorlogger wurden fortan als militärische Hilfsschiffe eingesetzt. Nach dem Krieg konnte der Heringsfang aufgrund der fortdauernden Minengefahr erst 1920 wieder aufgenommen werden. Die staatlichen Subventionen wurden mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges eingefroren und wurden auch nach Kriegsende nicht wieder reaktiviert. Das dadurch drohende Ende der Loggerfischerei konnte nur mit Wiederaufnahme und Erweiterung der Subventionen ab 1925 verhindert werden. Die staatlichen Hilfen umfassten unteranderem: Schutzzölle auf Salzheringe, Fangprämien, die Stundung und Gewährung von Krediten sowie Baudarlehen zum Umbau und Neubau von Loggern. Bereits 1932 wurde als Teil der staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit dem Bau von 30 Motorloggern begonnen. Die fertigen Schiffe wurden den Gesellschaften gegen Eintragung einer Schuld überlassen. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurde das Programm nicht nur fortgesetzt, sondern aufgrund der Autarkiebestrebungen noch erweitert. 1934 wurden 23 weitere Motorlogger in Auftrag gegeben, von denen sechs an die Emder Heringsfischereien gingen. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam die Loggerfischerei erneut zum Erliegen. Die moderneren Schiffe wurden von der Kriegsmarine eingezogen und nach entsprechender Umrüstung unter anderem als Vorposten-, Sicherungs- und Minensuchboote eingesetzt.
Insgesamt gingen von den 81 ostfriesischen Vorkriegs-Loggern aus Emden und Leer 20 Schiffe verloren, darunter waren neun moderne Motorschiffe. Besonders stark betroffen waren die Heringsfischereien "Großer Kurfürst" und "Dollart" mit Verlusten von über 30 Prozent.

Die Nachkriegszeit
Bereits im Herbst 1945 gingen die ersten drei Logger wieder auf Fangreisen. Die übrigen Logger waren über die deutschen Häfen verstreut. Sie mussten ausfindig gemacht, zurückgeführt und für den Heringsfang einsatzbereit gemacht werden. Erst allmählich wuchsen so die Flotte und ihre Fangquote wieder an.
Aufgrund der hohen Kosten, die für die Beseitigung der Kriegsfolgen an den Landbetrieben und der Flotte in den folgenden Jahren aufgebracht werden mussten, waren Konsolidierungsmaßnahmen der Heringsfischereien unabdingbar. So ging die kleinste der Heringsfischereien "Dollart" am 14.12. 1950 in der "Großer Kurfürst" Heringsfischerei A.G. auf. Ab dem 1.10.1955 war der Vorstand der Emder Heringsfischereien auch für die Glücksstädter Heringsfischerei A.G. zuständig, um so Verwaltungskosten zu sparen. Am 6.11.1957 wurde eine engere Zusammenarbeit zwischen den Heringsfischereien in Emden und Leer beschlossen. Gemeinsames Ziel war es, die kriegsbedingt veraltete Flotte zu modernisieren, um die Wettbewerbsfähigkeit zur Konkurrenz im Ausland aufzuholen. Zwischen 1954 und 1957 wurde ein Loggerneubauprogramm mit Geldern aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm aufgelegt. In dieser Zeit konnten 13 moderne Motorlogger für Treib- und Schleppnetzfischerei in Dienst gestellt werden. Durch die neuen Logger mit Kühlräumen konnten die Fischereien ab 1960 auch verstärkt Frischfischfang betreiben und ganzjährig ausfahren.

Der Niedergang der Heringsfischereien
Trotz der Modernisierungsmaßnahmen und steigender staatlicher Subventionen kam es jedoch in den 1960er Jahren aus verschiedenen Gründen zu einem stetigen Niedergang der Loggerfischerei. Die Gründe dafür waren unteranderem: Veränderung der Konsumgewohnheiten der Verbraucher, starke Konkurrenz mit anderen Fischereien, Überfischung der Nordsee, Veränderungen der Heringsschwarm-Routen, Preisverfall und Arbeitskräftemangel. Das Zusammenspiel dieser Entwicklungen führte zu hohen Verlusten bei allen Heringsfischereien.
Ab 1960 begann eine zweite Phase der Konsolidierung. Auf den Hauptversammlungen der ostfriesischen Heringsfischereien im Herbst 1961 wurden die Umwandlungen der Aktiengesellschaften in Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie Kapitalschnitte bei gleichzeitiger Kapitalerhöhung beschlossen. Zur Absatzförderung hielten die ostfriesischen Heringsfischereien zeitweise Geschäftsanteile an verschiedenen Unternehmen, darunter die Deutsche Heringshandelsgesellschaft mbH (DHG). Sie war als Verkaufsorganisation aller Nordsee Heringsfischereien die wichtigste Beteiligung. Daneben hielten die Gesellschaften Beteiligungen: Fischereihaus GmbH in Bremen, die Woldemar Fischverarbeitung in Emden, G.M. Daneker & Söhne Fischverarbeitungs GmbH in Emden, der Emder Salzheringsvertrieb und die Kühlhaus St. Pauli GmbH in Hamburg. Sie alle wurden, abgesehen von der DHG, bereits im Laufe der Konsolidierungsmaßnahmen in den 1960er Jahren nach und nach abgestoßen oder liquidiert.

Das Ende
1967 und 1968 erließ das Land Niedersachen den Gesellschaften die landesverbürgten Krediteile in Höhe von 2.600.000 DM. Mit diesem Schuldenschnitt wurden alle weiteren Finanzhilfen eingestellt. Um Überleben zu können, waren die Heringsfischereien auf weitere Hilfen angewiesen. Diese fanden sie beim Land Bremen. Die Gesellschaften erhielten aus Bremen über die Bank für Gemeinwirtschaft neue Darlehen mit denen die restlichen kurzfristigen Kredite abgelöst werden konnten. Am 20.3.1969 wurden die drei ostfriesischen Gesellschaften in das Handelsregister Bremerhavens eingetragen. Doch auch diese Maßnahme konnte aufgrund der weiter steigenden Verluste nichts an der prekären Lage ändern. So mussten bereits im Oktober 1969 der Landbetrieb stillgelegt und der Fischfang mit Saisonschluss des Jahres eingestellt werden. In den folgenden Jahren wurden die Heringsfischereien schrittweise aufgelöst. Der Schiffsbestand wurde bis 1969 durch Verkäufe und Abwrackung auf elf Motorschiffe reduziert, die in den folgenden Jahren teilweise verchartert wurden. 1974 wurden die letzten Betriebsgrundstücke in Emden und Leer verkauft. Die Freie Hansestadt Bremen hatte vertragsgemäß die Darlehen der Bank für Gemeinwirtschaft in Höhe von 8.600.000 DM abgelöst und damit auf eine Rückzahlung verzichtet. Dadurch konnte der Konkurs der Unternehmen vermieden werden. In einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 17.1.1975 wurde die Liquidation der verbliebenden Gesellschaften beschlossen. Die Deutsche Heringshandelsgesellschaft mbH war nach ihrer Liquidation bereits 1974 gelöscht worden. Die Löschung der verbliebenden Heringsfischereien im Handelsregister des Amtsgerichts Bremerhaven folgte am 31.5.1976. Einige ihrer Motorlogger wurden noch bis 1978 an die Fa. Böttcher verchartert.

Bestandsgeschichte

Der Bestand wurde über mehrere Jahrzehnte im Haus der Naturforschenden Gesellschaft zu Emden gelagert und war dort der Kern des Deutschen Heringsarchivs. 2010 wurde der Bestand als Depositum vom Stadtarchiv Emden an das Wirtschaftsarchiv NWN übergeben, wo es von April 2013 bis Februar 2014 durch Dr. Holger Czapski und Christian Röben erschlossen, verzeichnet und in die Datenbank eingearbeitet wurde. Die Archivalien befinden sich im Wirtschaftsarchiv Nord-West-Niedersachsen in Emden.
Emden im Februar 2014, Christian Röben M.A.

Abkürzungsverzeichnis:
AE - Regierungsbezirk Aurich, Heimathafen Emden
AL - Regierungsbezirk Aurich, Heimathafen Leer
Bd. - Band
DHF/HFD - "Dollart"
Heringsfischerei A.G. / GmbH
DHG - Deutsche Heringshandelsgesellschaft mbH
EHF - Emder Heringsfischerei A.G. / GmbH
Fa. - Firma
FK - Fischkutter
GHF/HFG - Glückstädter Heringsfischerei A.G.
GKHF/HFGK - Großer Kurfürst Heringsfischerei A.G. / GmbH
HF - Heringsfischerei
HFBV - Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft
HL - Hecklogger
LHF - Leerer Heringsfischerei A.G. / GmbH
ML / M.L. - Motorlogger
MS - Motorschiff
o. J. - ohne Jahresangabe
u.a. - unter anderem

Enthält

Der Bestand umfasste ca. 50 Umzugskartons. Er beinhaltet u.a. diverse Berichte, Rechnungsbücher, Schriftverkehr betr. Havarien, Schiffneubauprojekte, Fabrikerweiterungen, Abrechnungen und Personalunterlagen etc.

Literatur

Banser, H. / Brandes, W. / Weber, F. / Wöbbeking, F.: Heringsfänger aus Schaumburg-Lippe und dem Gebiet der Mittelweser, Bremen 1998.

Beiträge zur Herings Sonderkonferenz: On the herring of the southern North-Sea. Kopenhagen 1957.

Bloem, Eilrich/Schuster, Theo (Hrsg.): He geiht, hiev up! Auf Heringsfang in der Nordsee, Leer 1998.

Brandes, Wilfried (Hrsg.): Logger-Jantjes - Die Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft und der Heringsfang, Bremen 1996.

Bundesforschungsanstalt für Fischerei (Hrsg.): Schriften der Bundesforschungsanstalt für Fischerei, Hamburg 1957-1975.

Hahn, Louis: Ostfriesische Heringsfischereien unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Emder Heringsfischerei in fünf Jahrhunderten 1552-1940, Oldenburg 1941.

Kannegieter, Herbert: Ostfrieslands Heringsfischerei vom Ende des 2. Weltkrieges bis zur Liquidation, Emden 1984.

Krömer, Eckart: Kleine Wirtschaftsgeschichte Ostfrieslands und Papenburgs, Norden 1991.

Köhn, Gerhard: Seegekehlt & Seegesalzen - Loggerfischerei vor der deutschen Nordseeküste, Soest 1994.

Lübbers, Eiken: Ostfriesische Schiffahrt und Seefischerei, Tübingen 1903. Sonntag, Johannes-Hendrik: Heimathafen Emden - Die Geschichte der Emder Heringsfischereigesellschaften in vier Jahrhunderten, Emden 1998.

Schack, Axel von / Gronewold, Albert: Arbeit alleine, da wirst nicht von satt! Zur Sozialgeschichte der Stadt Emden 1848-1918, Bremen 1994.

Schnakenbeck, Werner: Die Nordseefischerei (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. V, Deutsche Seefischerei, Heft 1), Stuttgart 1928.

Sonntag, Johannes-Hendrik: Heimathafen Emden. Die Geschichte der Emder Heringsfischereigesellschaften in vier Jahrhunderten, Emden 1998.

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen

Verzeichnet