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StadtA GOE Kl. E. 150

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Kl. E. 150 - Bund der Vertriebenen

Laufzeit

1946-1992

Bestandsdaten

Geschichte des Bestandsbildners

Die Probleme einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen der früheren deutschen Ostgebiete (auf die begriffliche Unterscheidung der beiden Gruppen ist hier nicht näher einzugehen, s. dazu Motte, S. 12 ff.) im Göttinger Raum nach Ende des 2. Weltkriegs lassen bei vielen Betroffenen den Wunsch entstehen, eine eigene Organisation zu gründen, um der schwierigen Lage begegnen und ihre Interessen besser vertreten zu können.

Nach ersten lockeren Zusammenschlüssen bildet sich schließlich 1948 als gemeinsamer Verband für alle Vertriebenen von Stadt und Landkreis Göttingen der "Deutsche Ostlandbund - Göttingen Stadt und Land" (Gründungsprotokoll vom 15. Oktober 1948, siehe Nr. 329). Um eine einheitliche Interessenvertretung zu schaffen, sollten nach dem Willen des Nds. Ministers für Flüchtlingsangelegenheiten auf Kreisebene nur eine Flüchtlings-/Vertriebenenvereinigung zugelassen, andere vorhandene Organisationen eingegliedert werden (Nr. 331 und 335). So wird der Verband in der Folgezeit zum Ansprechpartner der Behörden bei der Integration der Vertriebenen. Er ist eingebettet in die bundesweite Organisation des "Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen" (ZvD).

Der Ostlandbund gründet in den Orten des Landkreises Ortsverbände, die Stadt Göttingen teilt er in acht Bezirke auf. Eine kleine Baracke in der Oberen Karspüle 39 dient bis 1956 als Geschäftsstelle, die die Mitglieder mit ihren Angelegenheiten aufsuchen können. Der Verband übernimmt die materielle und kulturelle Betreuung der Vertriebenen. Sein erster Vorsitzender nach der Gründung bis 1950 ist der frühere Bürgermeister von Eydtkuhnen, Curt Steiner.

Auf Anregung des Ostlandbundes bilden sich ab 1949 Landsmannschaften innerhalb des Verbandes (Schlesien, Ostpreußen, Pommern u. a. m.). Die Landsmannschaften widmen sich bevorzugt der Pflege von Kultur und Brauchtum ihrer Heimat, sie organisieren heimatverbundene Veranstaltungen und unterhalten eigene Publikationsorgane. Ihr Verhältnis zum Verband bleibt nicht immer frei von Spannungen. Mitgliederstärkste Landsmannschaft sind die Schlesier, sie stellen rund 40 % (= 2351 Personen, 1958) der Mitglieder der gesamten Organisation (vgl. Nr.337).

Während die Mitgliederzahl des Gesamtverbandes im Laufe der Zeit stetig abnimmt ( 1950: ca. 11.000; 1960: ca. 6000; 1972: 3.750; im gleichen Zeitraum Rückgang der Gesamtzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen im Kreis von über 50.000 auf etwa 40.000), kann seine Organisationsstruktur gefestigt werden und den Bedürfnissen der Mitglieder Rechnung tragen. In der Geschäftsstelle sind neben dem Geschäftsführer zeitweise ein Sozial-, ein Kulturreferent und ein Wirtschaftsbeauftragter tätig. Die umfangreiche Beratungstätigkeit erstreckt sich unter anderem auf Wohnungsangelegenheiten, Rechts- und Sozialfragen, Soforthilfemaßnahmen sowie den Lastenausgleich.

Ein Bezirkssiedlungsbeauftragter (Willy Beulshausen), der auch zuständig ist für angrenzende Kreise (Duderstadt, Osterode, Clausthal-Zellerfeld), bearbeitet in Ausführung des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vom 10. August 1949 Anträge siedlungswilliger heimatvertriebener Landwirte auf Zuweisung geeigneter Grundstücksflächen (meist Nebenerwerbsstellen) und leitet sie der staatlichen "Treuhandstelle für Flüchtlingssiedlung" zu, die die Verträge mit den Bewerbern abschließt. Aus der Dichte der hier vorhandenen Überlieferung zu schließen, war die Einwerbung und Vermittlung von Siedlungsstellen und damit zusammenhängenden öffentlichen Krediten in der Anfangszeit eine zentrale Aufgabe der Vertriebenenorganisation.

Während des Vorsitzes (ab 1950) des Lehrers Hugo Fromme wechselt der Verband zweimal Namen und Adresse. Jeweils in Anlehnung an die zentrale Instanz und ihren Landesverband heißt er ab 1952 "Bund der vertriebenen Deutschen, Kreisverband Göttingen Stadt und Land e.V." (BVD), 1960 schließlich erhält er seine jetzt noch gültige Bezeichnung "Bund der Vertriebenen, Kreisverband Göttingen Stadt und Land e.V." (BdV). Am 15. November 1956 bezieht der Kreisverband neue Geschäftsräume als Untermieter der Stadt Göttingen im 1. Obergeschoss des Hauses Geismar Landstraße 4 (Nr. 331), zum 1. Juli 1975 werden diese in die Wiesenstraße 30 verlegt (Nr. 20).

In der Aufgabenstellung des BdV haben materielle Unterstützung und existenzsichernde Maßnahmen für die Heimatvertriebenen in der Nachkriegszeit Vorrang. Nachdem hier eine gewisse Konsolidierung eingetreten ist, prägen etwa ab Mitte der 50er Jahre kulturelle und politische Aktivitäten (z. B. Veranstaltungen zum Tag der Heimat und zum 17. Juni; Widerstand gegen die Ostverträge der Bundesregierung ) in zunehmendem Maße die Arbeit des Verbandes. Heute beansprucht er - bei schwindender Mitgliederzahl und sinkendem politischen Einfluß - immer seltener die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Bestandsgeschichte

Aus der Geschäftsstelle des BdV-Kreisverbandes in der Wiesenstraße 30 übernahm das Stadtarchiv 1992 ca. 25 lfd. Meter Unterlagen zur Tätigkeit des Verbandes (incl. Karteien, Plakate, Druckschriften etc.; Acc. Nr. 1157/1992, Laufzeit 1946 bis 1987). Unter anderm wegen der unübersichtlichen Aktenführung (kein Aktenplan, Vermischung verschiedener Inhalte in Sachakten, sehr viel allgemeiner Schriftverkehr) war es erforderlich, die Unterlagen im Archiv noch einmal genauer zu sichten und zu bewerten. Letztlich verblieben ca. 9 lfd. Meter archivwürdiges Schriftgut, das diesen Bestand bildet und verzeichnet ist. Der Rest setzt sich zusammen aus kassablen Dokumenten (vor allem Rechnungen, Beitragslisten, Einzelschriftstücke ohne Zusammenhang) und Bibliotheksgut, das mit Ausnahme verschiedener aktenmäßig abgehefteter Publikationen (im wesentlichen Zeitschriften-Serien, siehe Gruppe 1.4) vom Bestand getrennt wurde. Dieses lagert in der Bibliothek des Archivs in mehreren Archivkartons (ca. 0,8 lfd. Meter, Sign. S 19) und ist nur kollektiv erschlossen (Unterteilung in: Flugblätter, Flugschriften; Zeitungen, Zeitungsausschnitte; Zeitschriften, Reihen; Bücher, Broschüren).

Nach Möglichkeit sind die im Aktenbestand verarbeiteten Zeitschriften-/Zeitungsserien dort zusammengehalten worden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass einzelne Exemplare in die Bibliothekssammlung Eingang gefunden haben. Interessierte Benutzer/-innen sollten in jedem Fall an beiden Stellen suchen. Plakate wurden der Plakatsammlung zugeführt.

Der Archivbestand enthält Material aus der Registratur des BdV und seiner Vorläufer (BVD, Deutscher Ostlandbund); unter anderem sind nach landsmannschaftlicher Zugehörigkeit geführte Mitgliederkarteien überliefert (in Gruppe 1.6.3). Bei den Protokollserien sind Lücken festzustellen, allerdings können aufgrund der schlechten Aktenführung einzelne Protokolle noch in anderen Zusammenhängen versteckt und bisher nicht erschlossen sein.

Nach einer ersten vorläufigen Ordnung und Erfassung der Unterlagen auf Karteizetteln Mitte der 1990er Jahre erfolgte in den letzten Jahren mit Hilfe des EDV-Programms "AIDA" eine Überarbeitung und Neufassung der meisten, bisher nur behelfsmäßig gebildeten Titel.

Göttingen, im Juni 2000

Literatur

Jan Motte: Sport und Integration. Die Bedeutung von Sportvereinen für die Eingliederung von Zuwanderern nach 1945 - eine Untersuchung im Raum Göttingen. Hausarbeit zur Erlangung des Magistergrades, Universität Göttingen 1993 (Signatur: B 426)

Siehe

Korrespondierende Archivalien

Als Quelle zum Themenkomplex kann ergänzend städtisches Verwaltungsschriftgut herangezogen werden (z. B. Bestände Sozialamt, Stadtflüchtlingsamt; Lastenausgleichsakten).

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen

Acc.-Nr.: 1157/1992
Der Bestand wurde mit Hilfe des EDV-Archivprogramms "AIDA" erfasst. Die Datensätze dieses Bestandes wurden im Mai 2015 von AIDA in die nunmehr verwendete Archivsoftware "Arcinsys" übertragen.