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LkAH D 59

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Ev.-luth. Zentralverein für Begegnung von Christen u. Juden e.V.

Laufzeit

1853-2006

Bestandsdaten

Bestandsgeschichte

Der Evangelisch-lutherische Zentralverein für Begegnung von Christen und Juden e.V. (kurz: ZV; Bemerkung: ein Abkürzungsverzeichnis befindet sich im Anhang zum Vorwort) wurde 1871 als Evangelisch-lutherischer Zentralverein für Mission unter Israel durch Franz Delitzsch in Leipzig gegründet. Im Jahre 1986 erfolgte die erste Umbenennung in Evangelisch-lutherischer Zentralverein für Zeugnis und Dienst unter Juden und Christen e.V. Seinen heutigen Namen trägt der Verein seit 2000.

Seine erste Blüte erlebte der Verein in der Zeit vor Ausbruch des 1. Weltkrieges unter seinem Sekretär und späteren Missionsdirektor Otto von Harling (1866-1953), der sowohl selbst in Leipzig missionarisch tätig war als auch den Verein auf Tagungen der Allgemeinen und Lutherischen Judenmissionskonferenz vertrat. Nach 1918 wurde der ZV zunehmend durch den erstarkenden Antisemitismus in seiner Arbeit behindert. In den 1920er Jahren konnten noch auf Anregung des ZV Studientagungen der vier Missionsgesellschaften (Berlin, Köln, Leipzig, Basel) und 1929 eine Missionsstation in Riga eröffnet werden, bevor der Verein in der Zeit des Nationalsozialismus zunehmendem Druck ausgesetzt und 1935 schließlich verboten wurde.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden im Herbst 1945 die Aktivitäten wieder aufgenommen und der Verein neu organisiert. Es entstanden Arbeitsgruppen und Vertrauensleute wurden in den einzelnen Landeskirchen benannt. Prägende Figuren des Wiederaufbaus waren, Missionsdirektor i. R. Otto von Harling, Walter Fündling und Prof. Dr. Karl Heinrich Rengstorf (1903-1992), die auch das erste vorläufige Direktorium bildeten. Rengstorf war bis 1971 1. Vorsitzender. Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus sowie der eigenen Missionstheologie fand kaum statt, was dem in Deutschland weit verbreiteten Prozess der Verdrängung entspricht.

Eng verbunden mit dem Zentralverein ist das ebenfalls von Delitzsch in Leipzig im Jahr 1886 gegründete Institutum Judaicum, nach

seinem Tod in Institutum Judaicum Delitzschianum (kurz: IJD) umbenannt. Otto von Harling war von 1903 bis 1935 neben seiner Tätigkeit als Sekretär für den ZV auch Direktor des IJD. Nach dem Verbot des Vereins wurde das IJD nach Wien verlegt und dort von Hans Kosmalla (1903 - 1981) geleitet. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 fand eine erneute Verlegung nach London statt. 1948 wurde das Institut als Bestandteil der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Karl Heinrich Rengstorf wiedereröffnet. Wurde es in der Zeit Otto von Harlings noch als eine Einrichtung für die praktische Ausbildung von Missionsarbeitern gesehen, widmet es sich heute der Erforschung des christlich-jüdischen Verhältnisses. Das Institut veranstaltet Tagungen und gibt verschiedene Schriftenreihen heraus (Details im Literaturverzeichnis im Anhang): Franz-Delitzsch-Vorlesungen, Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, Münsteraner Judaistische Studien, Schriften des Institutum Judaicum zu Leipzig, Schriften des Institutum Judaicum Delitzschianum. Neue Folge, Studia Delitzschiana und Theokratia. Das IJD wird durch den ZV und die Franz-Delitzsch-Gesellschaft finanziell gefördert. Seit 1971 besteht zudem die Otto von Harling-Stiftung, welche sich die Vergabe von Promotionsstipendien zur Aufgabe gemacht hat.

Mitglieder des Zentralvereins sind die regionalen Zweigvereine in Bayern (Evangeliumsdienst unter Israel durch die Evangelisch-Lutherische Kirche; heute: Begegnung von Christen und Juden/BCJ e.V.), Niedersachsen (Evangelisch-Lutherischer Dienst an Christen und Juden e.V.; heute: Begegnung Christen und Juden Niedersachsen e.V.) und Nordelbien (Nordelbischer Verein für Zeugnis und Dienst an Juden und Christen e.V./NVZD) sowie mehrere Arbeitsgruppen, darunter der Arbeitskreis der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche und Einzelpersonen. Kontakt bestand zum Teil auch zu Arbeitsgemeinschaften

in Österreich. Im 19. Jahrhundert existierten zudem bis zu deren institutionellen Eigenständigkeit Regionalvereine des ZV in Skandinavien. Auch aus diesem Grund gibt es noch heute eine freundschaftliche Beziehung und enge Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Außerdem kooperierte der Zentralverein zeitweise mit dem Evangeliumsdienst für Israel - Südwest.

Bis 1978 war der Verein durch ein Direktorium und Generalversammlung sowie eine zunächst örtlich wechselnde Geschäftsstelle organisiert. Seit 1979 hat sie ihren Sitz im Haus Kirchlicher Dienste in Hannover. Seitdem ist der Geschäftsführer des ZV gleichzeitig Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Die Generalversammlung kam in der Regel einmal jährlich zu den Jahresfesten zusammen, um die Tätigkeitsberichte und Kassenberichte entgegenzunehmen. Ihr Nachfolgeorgan stellte bis 1997 die Mitgliederversammlung dar. Der jährliche Versammlungstermin blieb erhalten. Leitende Organe sind seit 1979 der dreiköpfige Vorstand, zuständig für die laufenden Geschäfte, und das Direktorium, bestehend aus den Vorstandsmitgliedern und acht weiteren Mitgliedern, welches die näheren Richtlinien der Arbeit bestimmt. Des Weiteren sind die Vorsitzenden der Zweigvereine, der Direktor des IJD, sowie der Geschäftsführer des Zentralvereins mit beratender Stimme beteiligt. Seit 1997 fungiert der Verein als Dachverband für die Regionalvereine. Sein Organ ist die Delegiertenversammlung.

Zu den wichtigsten Aktivitäten des Zentralvereins gehören die Jahrestagungen sowie die Missions- und Diakonischen Dienste, unter anderem durch die Mitarbeiter der bis 1970 bestehenden Diakonie- und Missionsstationen in Hamburg und München. Einen weiteren Schwerpunkt der Vereinsarbeit stellte zudem die Veröffentlichung von Selbstdarstellungen und der Zeitschriften Saat auf Hoffnung (1863/64-1933 und 1950) und Friede über Israel (1903-1936 und 1951-2000) dar. Letztere erscheint seit 2001 unter dem Titel

"Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum". Zentral ist auch die Bildungsarbeit Dazu zählen beispielsweise Studienreisen nach Israel, Vortragstätigkeiten sowie Studientage, Seminare und Filmprojekte. Außerdem war der Zentralverein in den 1980er und 1990er Jahren Mitveranstalter von Tagungen im Rahmen des Pastoralkollegs der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers in Loccum. Für den Bereich der Bildungsarbeit wurde seit Mitte der 1970er Jahre ein Studienleiter eingestellt. Zudem präsentiert sich der Verein regelmäßig auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen im Rahmen des so genannten "Markt der Möglichkeiten".

In Israel unterstützt der Verein mehrere Projekte, meist in Kooperation mit anderen europäischen Missionsgesellschaften aus Großbritannien und Skandinavien. Dazu gehören das Gemeindezentrum Ramat-Aviv, das Ebenezer-Heim in Haifa sowie das Caspari-Center for Biblical and Jewish Studies in Jerusalem. Der Verein selber trägt seine Aktivitäten durch die Kollekten am 10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag) und Spenden. Außerdem erhält er finanzielle Unterstützung durch die Landeskirchen.

Des Weiteren sind Mitglieder des Zentralvereins seit den 1960er Jahren in verschiedenen Gremien zum Thema Kirche und Judentum innerhalb der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche und Evangelischen Kirche in Deutschland sowie auf europäischer Ebene beteiligt, in denen die Neubestimmung des christlich-jüdischen Verhältnisses nach 1945 diskutiert wird. Dazu gehören der Arbeitskreis "Kirche und Judentum" der VELKD, die Studienkommission "Kirche und Judentum" der EKD sowie die "Lutherische Europäische Kommission für Kirche und Judentum" (LEKKJ), die aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit dem Lutherischen Weltbund ihre Jahrestagungen nicht nur in Europa sondern auch, wie beispielsweise im Jahr 2002 geschehen, in den USA abgehalten hat (siehe dazu D 59 Nr. 112,II). Die Diskussion hier wirkte sich auch auf die Arbeit des Zentralvereins aus. Das Ergebnis der

internen Diskussionen ist das auf der Jahrestagung 1991 in Leipzig entstandene Konzeptionspapier vom 16.09.1991 (Siehe: Arnulf H. Baumann (Hg.): Auf dem Wege zum christlich-jüdischen Gespräch, S. 43-46 und 220-228).

Der Aktenbestand wurde dem Landeskirchlichen Archiv am 05.07.2010 als Depositum übergeben und umfasst den Zeitraum von 1853 bis 2006. Es spiegelt mehrheitlich die Arbeit der unterschiedlichen Ebenen in der Vereinsorganisation wieder und dokumentiert die oben beschriebenen Aktivitäten des Zentralvereins im In- und Ausland. Außerdem nehmen das IJD sowie die Gremien in EKD und VELKD sowie die LEKKJ einen großen Teil des Bestandes ein.
Zu den Unterlagen ist schließlich anzumerken, dass sie zum Teil in englischer, französischer, dänischer, norwegischer oder slovakischer Sprache abgefasst sind.

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen

Abgeschlossen: ja

vollständig verzeichnet