Drucken

NLA ST Rep. 166

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Taubstummenanstalt Stade

Laufzeit

1848-1955

Bestandsdaten

Kurzbeschreibung

Splitterüberlieferung
Findmittel: EDV-Findbuch 2005
Umfang: 807 Akten

Bestandsgeschichte

Behördengeschichte

Schon im Jahr 1856 wurde aufgrund einer möglichen Anbindung an die beiden dortigen Schullehrerseminare an die Gründung von Taubstummenanstalten in Osnabrück und Stade gedacht. Die Anstalten sollten den dortigen Direktoren der Seminare unterstellt und die dort tätigen Hilfslehrer für diesen Zweck mit ausgebildet werden. In beiden Städten sollten jeweils eine Schule für 30 Schüler und drei Lehrer eingerichtet werden. Die Verbindung zum Lehrerseminar in Osnabrück wurde in Folge der Konfessionsverschiedenheit und der Befähigung des Seminarleiters abgelehnt, in Stade sollte sie aber realisiert werden. Eine Förderung der Anstalt in Stade wurde durch den Magistrat und die Landschaft abgelehnt, nur die Provinz Bremen-Verden wollte einen einmaligen freiwilligen Beitrag leisten.

Gründungsphase

Ein Regulativ vom 22. Juni 1857 regelte die äußeren Verhältnisse der neuen Schule . Sie unterstand der Oberaufsicht der Landdrostei Stade. Der Inspektor des lutherischen Schullehrerseminars Schmidt leitete die Einrichtung, die technische Abwicklung des Unterrichts erfolgte durch den neu ernannten Oberlehrer der Anstalt. Sie sollte einerseits eine Bildungsschule für taubstumme Kinder aus dem Landdrosteibezirk Stade sein und andererseits die Seminaristen mit dem Unterricht Gehörloser bekannt machen. Die Eltern der aufzunehmenden Kinder mussten ein obrigkeitliches (betr. Vermögensverhältnisse und Unbescholtenheit der Familie), ein pfarramtliches und ein ärztliches Attest vorlegen. Das Regulativ setzte fest, dass einmal im Jahr zu Ostern eingeschult wurde und dass die Schulzeit sechs Jahre vom 7. bis zum 12. Lebensjahr dauerte. Ferner wurden die Kosten der Unterhaltung und die Ausstattung mit Kleidung festgelegt. Zwei Tage später wurde noch ein sehr viel detaillierteres Reglement erlassen, dass die inneren Verhältnisse der Schule regelte. Darin finden sich neben

den oben genannten Themen auch Aussagen über die Fürsorge der Pflegeeltern, die Art des Unterrichts und der Prüfungen, Gesundheitspflege, Feiertage und Ferien, die Fürsorge nach der Entlassung der Schüler, das Rechnungswesen der Schule etc. 10-12 Schüler bildeten demnach eine Klasse mit einem Lehrer und einem Schulzimmer. Das Reglement setzte fest, dass die Kinder von Geburt an taubstumm oder schwerhörig, sonst aber körperlich gesund und bildungsfähig sein mussten. Ausgeschlossen waren die nach damaliger Definition ‚blödsinnigen' Kinder, die 1853 ebenfalls statistisch erhoben worden waren. Die Kinder kamen, falls notwendig, bei ausgewählten Bürgerfamilien in der Stadt unter. Sie mussten Kleidung und Leibwäsche mitbringen, die Eltern Unterhaltskosten an die Pflegefamilien zahlen oder Beihilfen dafür beantragen(siehe Abbildung 2). Die Pflegefamilien wurden vom Direktor bzw. Oberlehrer ausgesucht, um mit ihnen dann einen Vertrag über die Erziehungs- und Pflegeleistungen abzuschließen (siehe Abbildung 3).Als Oberlehrer war der erst 1854 provisorisch in den Dienst eingetretene und ein Jahr später fest angestellte Wilhelm Gude ausgewählt worden, der seinen Dienst zum 28. Mai 1857 antrat . Schon zum 1. Juli des Jahres sollte der Unterricht in einem angemieteten Lokal in der Salzstraße am Rande der Altstadt (Nr. 23) beginnen (siehe Abbildung 4). Doch der Start war überhastet. Erst am 6. Juli wurde mit einem Ausschreiben der Regierung die Schule überhaupt bekannt gemacht und zur Einschulung zum 1. August aufgefordert. So kamen zunächst nur sechs Schüler aus dem Bezirk zusammen, 17 weitere wurden weiterhin in Hildesheim beschult. Auch im nächsten Schuljahr wurden nur acht weitere Schüler und ein erster Hilfslehrer aus Hildesheim gewonnen. Doch die provisorische Unterkunft in der Salzstraße musste wegen des Raumbedarfs bereits jetzt gegen eine Unterkunft am Salztorswall (Nr.

1) eingetauscht werden. Auch die Unterbringung der Kinder in den Bürgerfamilien ging nur schleppend voran, weil das Kostgeld zu gering bemessen war und es auch viele Bedenken von Seiten potentiell in Frage kommender bürgerlicher Familien gab. Daher kam der Kreis der tatsächlichen Pflegefamilien eher aus dem Milieu des Kleinbürger- bzw. Handwerkerstands oder auch der besser gestellten Arbeiterfamilien. Es gab von Seiten der Schule nur wenig Beanstandungen über die bescheidenen Lebensverhältnisse ihrer Schüler. Ein Förderverein oder Fonds zur Unterstützung entlassener Taubstummer wie in Osnabrück wurde nicht für nötig erachtet, da in hiesigem Fall die Ämter die nötige Unterstützung zu leisten bereit waren. Problematischer war dagegen das Verhältnis zu den leiblichen Eltern, deren Unterstützung für Kost und Logis sowie Bekleidung oft nur mangelhaft war. Dazu kamen die Kosten für die medizinische Behandlung der Kinder, die vor allem an Skrofulose litten, eine chronische Entzündung im Bereich Nasenschleimhaut, Augenlider, Bindehaut und Halslymphknoten, die vorwiegend bei Kleinkindern vorkommt. Hier sollte Turnunterricht zunächst nur für Jungen, später auch für Mädchen getrennt Abhilfe schaffen. Dagegen verlief die Ausbildung von Hilfslehrern am dortigen Seminar planmäßig an und mit der dritten Einschulung von jetzt 10 Kindern 1859 konnte der erste Hauptseminarist aus dem eigenen Nachwuchs rekrutiert werden. Gleichzeitig konnte das schon seit längerem ins Auge gefasste ehemalige Militärhospital Hinterm Hagedorn (Nr. 14) relativ günstig käuflich erworben und für Schulzwecke umgebaut werden (siehe Abbildung 5). Bis auf die Ausnahme 1859 konnte jedoch in den Folgejahren nie ein vollständige Klasse von mindestens 10 Schülern in Stade neu aufgenommen werden, so dass die Zuweisung entsprechender Lehrstellen nicht passend zu den jeweils sehr kleinen Klassen erfolgte und damit die

Lehrer für mehrere Klassen zuständig waren. Darüber hinaus entfiel die Hilfe der Seminaristen, die ihre Ausbildung an der dortigen Anstalt nicht mehr gesondert vergütet bekommen sollten. So entstand ein Vakuum, dass von Seiten des Ministeriums 1862 so gelöst werden sollte, dass der Stader Schulbezirk auch auf die Landdrostei Lüneburg ausgeweitet wurde, um damit einen vollständigen Schulbetrieb gewährleisten zu können. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht, zumal ab 1864 auch die ersten Entlassungen nach absolvierter Schulzeit eintraten. Dazu kamen häufige Lehrerwechsel, da im Königreich seit 1861 das Rotationsprinzip für Hilfslehrer eingeführt worden war. Man darf auch nicht den Widerstand mancher leiblicher Eltern gegen eine Unterbringung ihrer Kinder in der Ferne unterschätzen. So wurde gegen alle Weisungen die taubstumme Sophie Springer aus Armstorf bei Lamstedt in der örtlichen Volksschule unterrichtet und selbst als die Berichte des dortigen Lehrers und des Kreisschulinspektors eine Weisung des Landrats an die Eltern nach sich zogen, konnten sich doch letztlich die "widerspenstigen" Eltern gegen den Willen der Behörden durchsetzen .

Die Taubstummenanstalt unter provinzialständischer Verwaltung

Das Ende des Königreichs Hannover durch die preußische Besetzung 1866 und die darauf folgende Eingliederung als Provinz erbrachte auch in der Verwaltungsebene in der Folgezeit größere Veränderungen. So wurde in Hannover eine provinzialständische Verwaltung neu eingerichtet, unter der auch zukünftig die Taubstummenanstalten fielen. Als Aufsichtsbehörden fungierten seit dem 1. Januar 1869 nun der ständische Verwaltungsausschuss bzw. das Landesdirektorium, das im gleichen Jahr noch die lang ersehnte 6. Lehrerstelle für Stade bewilligte. Außerdem wurde die schon länger diskutierte Trennung vom Schullehrerseminar nun umgesetzt. Die örtliche Leitung erfolgte nun durch eine

vom Provinzialausschuss gewählte Kommission, zu der neben dem Anstaltsleiter, der nun als Direktor eingeführt und besoldet wurde, drei weitere Honoratioren Sitz und Stimme haben sollten. In Stade waren dies zunächst der Landschaftsrat Neubourg, der Sanitätsrat Sander und der Gymnasialdirektor Plass. Das Landesdirektorium setzte in regelmäßigen Konferenzen mit den Direktoren nun die neuen Leitlinien vor allem für eine gleichmäßigere Auslastung der Anstalten. Dazu diente einerseits ein Zwang zur Benutzung der für den jeweiligen Bezirk eingeteilten Anstalten für die Eltern gehörloser Kinder, andererseits eine verpflichtende jährliche Erhebung geeigneter Kinder durch die Ämter im jeweils letzten Quartal des Jahres. Auch kleinere Maßnahmen wie eine Verlängerung der Anmeldefrist von Weihnachten auf den 1. Februar oder eine auf sieben (seit 1871) bzw. acht Jahre (seit 1876) verlängerte Schulzeit gehörten dazu. Kinder mit besonderem Förderbedarf sollten sogar noch darüber hinaus ihre Schulzeit verlängern können, eine Trennung nach ihrer Befähigung wurde jedoch vorerst abgelehnt. Die Maßnahmen hatten Erfolg und führten zu einem stetigen Anwachs an Schülern in Stade von 56 (1869/70) auf 86 (1877/78), vor allem auch von schwach befähigten Schülern. Dieser Anstieg zeigte aber auch, dass ein erneuter Umzug nötig war. Durch Grundstückstausch zwischen der provinzalständischen und der städtischen Verwaltung im Rahmen des Ausbaus von Stade als Sitz eines Regierungspräsidenten 1883/84 konnte zeitgleich mit der Pensionierung des Direktors Gude nach dem Erwerb mehrerer Grundstücke auf der ehemaligen Gründels-Bastion ein völlig neues Gebäude für diesen Zweck an der Wallstraße (Nr. 17) bezogen werden (siehe Abbildung 6). Die alte Anstalt wurde nach Umbau durch die Stadt für die Zwecke eines Kindergartens, der so genannten Herberge zur Heimat für durchreisende Handels- und Gewerbetreibende

sowie für eine Turnhalle der städtischen Töchterschule einer neuen Bestimmung übergeben . Eine Erhebung von 1877 bringt auch ein wenig Licht in die Herkunftssituation und die Zukunft der an der Stader Anstalt ausgebildeten Kinder. Danach stammen die bis dahin 182 eingeschulten Kinder zum großen Teil aus Familien von Tagelöhnern und Arbeitern (76), danach Bauern und Landwirten (48) sowie Handwerkern (36) ab. Fast alle Kinder (176) gehörten der evangelisch-lutherischen Religion an. 17 Eltern hatte mehrere gehörlose Kinder in die Anstalt eingeschult, jedoch war nur eine Mutter selbst gehörlos. Interessant ist auch die Berufswahl der Kinder: 23 Näherinnen, 15 Schuhmacher, 12 Haus- und Landarbeiter, 10 Schneider, fünf Tischler, drei Tagelöhner, zwei Schriftsetzer bzw. Landwirte. Hier wie auch in den restlichen Berufsgruppen wird deutlich, dass vor allem das ganze Spektrum der einfachen Handwerksberufe das bevorzugte Ziel der Kinder war. Dieser Trend hielt auch in den folgenden Jahrzehnten an. Die Regierung setzte spätestens seit 1867 durch Gewährung von Prämien für Handwerksbetriebe, die Taubstumme zur Ausbildung zuließen, auf eine gezielte Förderung dieser Berufe . Sicherlich hat auch die Erfahrung aus dem Alltag der Pflegefamilien einen wichtigen Beitrag zur späteren Berufswahl geliefert. Auch die Verbesserung der Lebenssituation der Kinder stand auf dem Plan. So wurde das Kostgeld und vor allem die Bekleidungssätze in zwei Stufen erhöht, die Arzt- und Arzneikosten nunmehr von Anstaltskassen statt von den Pflegefamilien erhoben, verpflichtende Turnstunden für alle Kinder sowie eine alljährliche Schulfeier und ein Ausflug mit in den Lehrplan aufgenommen. Schließlich wurde auch der innere Lehrbetrieb einigen Veränderungen unterzogen: die Direktoren wurden von der nunmehr vereinheitlichten Rechnungsführung entlastet, die Lehrmittel erhöht, die Relation ein Lehrer, ein

Schulzimmer, 10 Schüler festgeschrieben (siehe Abbildung 7) und die Einstellungsvoraussetzungen für die Lehrer neu formuliert. Danach galt nun erstmals eine feste Besoldungstabelle für die Direktoren und die anderen Taubstummenlehrer, ihre ordentliche Anstellung erfolgte erst nach zwei Jahren als Aspirant und drei Jahren als Hilfslehrer. Nur ein einheitlicher Lehrplan konnte nicht durchgesetzt werden.

Die Neuausrichtung der Taubstummenanstalten nach 1904

Das Jahr 1904 erbrachte eine völlige Umstellung der Gehörlosenbildung in der Provinz Hannover. Das Prinzip der einheitlichen Unterrichtung aller taubstummen Kinder, unabhängig von den Fähigkeiten, wurde aufgegeben und eine Einstufung je nach Leistungsstärke in A, B oder C-Gruppen eingeführt. Alle Kinder, die nach einer zweijährigen Probezeit dann in die C-Gruppe eingestuft wurden, sollten nach Osnabrück in die weitere schulische Laufbahn geschickt werden, wo eine Spezialisierung in diesem Gebiet eingerichtet wurde. Damit wurde auch das Prinzip der wohnortnahen Einschulung aufgegeben, denn die Bezirke der Taubstummenanstalten vergrößerten sich entsprechend. Stade erhielt zukünftig Kinder nicht nur aus den Regierungsbezirken Stade und Lüneburg (außer die Kreise Gifhorn und Isenhagen), sondern auch aus dem Regierungsbezirk Osnabrück und sieben Kreisen des Regierungsbezirks Hannover (Diepholz, Hoya, Neustadt a. R., Nienburg, Stolzenau, Sulingen und Syke) und damit aus 48 Kreisen mit damals 1.300.000 Einwohnern zugewiesen. Der Sprengel war damit weitaus größer als der von Hildesheim. Ausgenommen waren nur katholische Kinder, die auf jeden Fall nach Hildesheim überwiesen wurden. Emden blieb dagegen weiterhin nur für den Regierungsbezirk Aurich zuständig und trennte auch weiterhin nicht nach geistiger Befähigung. Hildesheim und Stade nahmen nun im Wechsel alle zwei Jahre Kinder aus ihrem Bezirk auf und schickten dann

nach zwei Jahren die C-Schüler mit jeweils einem Jahrgang nach Osnabrück.
Im 50. Jubiläumsjahr 1907 wurde auch eine Erhebung nach der Art der Hörschädigung veröffentlicht . Von den damals 74 Schülern waren 27 völlig gehörlos, 30 mit Schallgehör, 16 mit Vokalgehör und nur ein Kind schwerhörig. Die Ursachen für die Schädigung lagen nach Aussagen der damaligen ärztlichen Atteste bei 45 Schülern per Geburt vor, 5 hatten sie durch ein Gehirnentzündung bzw. einen Mittelohrkatarrh, 4 durch Krämpfe und zwei durch Scharlach erhalten. Das Jubiläum wurde festlich begangen, Honoratioren eingeladen, Spenden eingesammelt, der Betsaal neu ausgestattet . Außerdem wurde von erwachsenen Taubstummen mit einem in Auftrag gegebenen Portrait dem ersten Direktor der Anstalt, Wilhelm Gude, ein Denkmal gesetzt (siehe Abbildung 8).
Darüber hinaus wurde die Frage der Fortbildung der Taubstummen stärker in den Blick genommen. An die Anstalt angegliedert bestand seit 1908 eine staatlich geförderte Fortbildungsschule, in der die Jugendlichen in einer Art Sonntagsschule für ein Jahr freiwillig zusätzlichen Unterricht nehmen konnten, der Zeichenunterricht dagegen fand an der gewerblichen Fortbildungsschule statt (siehe Abbildung 9). Aus dieser Freiwilligkeit wurde aber 1914 ein Zwang gemacht, der durch ein entsprechendes Ortstatut Gestalt bekam . Die Beschulung blinder und taubstummer sowie hochgradig schwerhöriger Kinder in Taubstummenanstalten im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht wurde schließlich im Preußischen Landtag am 7. August 1911 festgesetzt.

Die Phase der Auflösung

Die folgenden durch Lehrermangel und häufigen Lehrerwechsel gekennzeichneten Kriegsjahre und erst recht die in der Nachkriegszeit einsetzende Inflation entfachte auch in der Provinzialverwaltung eine Diskussion über Sparmaßnahmen u. a. in der Schulverwaltung, wovon auch die Taubstummenanstalten betroffen waren.

Dazu kam der rasante Rückgang der Schülerzahlen insgesamt nach 1917 . Bereits 1922 wurde die Anstalt in Emden aufgegeben und deren Schüler an die Anstalt in Osnabrück überwiesen, womit die Schülerzahl dort wieder einen erheblichen Aufschwung nahm. Auch die oft kritisierte Einteilung der Schüler nach Befähigung wurde wieder aufgehoben. Die insgesamt nur mäßige Auslastung der Anstalten führte seit 1925 zur Frage, ob nicht eine der Einrichtungen geschlossen werden könnte. Stade war mittlerweile die kleinste der drei Einrichtungen geworden. Während zunächst in Hildesheim und später auch in Osnabrück Internate für die Unterbringung der Zöglinge eingerichtet worden waren, weil die Unterbringung in Pflegefamilien aufgrund der wirtschaftlichen Nöte immer schwieriger wurde und die Anstalten sich nach neuen günstigen Unterbringungsmöglichkeiten umschauten, fehlte eine solche Initiative in Stade. Dort wurde lediglich im Haus des Direktors in der Neubourgstr. 6 ein kleines Internat direkt neben der Anstalt eingerichtet. In Stade wurde der Unterrichtskanon immer weiter ausgebaut, in dem 1929 ein Lehrküche eingerichtet und 1930/31 Gartenbau als Unterrichtsfach eingeführt wurde. Darüber hinaus wurde der Betrieb der 1922 geschlossenen Berufsschule für taubstumme Lehrlinge von neuem eröffnet. Der Provinzialausschuss setzte nach einer ersten Verschiebung der Debatte im Herbst 1931 zur Prüfung der Frage eine Kommission ein, die sich auch durch Bereisungen vor Ort von den Zuständen überzeugen wollte. An den gefährdeten Standorten in Osnabrück und Stade setzten die Anstaltsleiter alle Hebel in Bewegung, um gegen eine Auflösung ihrer Anstalt Stimmung zu machen. So wurden an beiden Standorten Denkschriften verfasst, die die Nachteile einer solchen Entscheidung deutlich machen sollte. Eine Denkschrift aus dem Jahr 1931 veranschaulicht das Dilemma (siehe Abbildung 10) . Noch anlässlich der

75 Jahr-Feier der Taubstummenanstalt in Stade 1932 wurde im Stader Tageblatt unter Berufung auf den damaligen Bürgermeister Dr. Meyer verkündet, "dass es vor kurzem, als die Aufhebung der Stader Anstalt zur Debatte stand, gelungen sei, die Anstalt der Stadt Stade zu erhalten und [er] wünschte der Anstalt weitere Jahrzehnte segensreichen Wirkens" . Diesem Wunsch wurde nicht entsprochen. Kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde im Juni 1933 das endgültige Aus im Provinzialausschuss beschlossen, am 23. September 1933 war die Geschichte der Taubstummenanstalt in Stade beendet. Bereits zwei Monate später residierte dort eine SA-Sportschule (siehe Abbildung 11), zwei Jahre später folgte die Heeresverwaltung, ab August 1938 dann die Mittelschule. Anfang 1963 zog dann die städtische Bauverwaltung ein, die das Gebäude bis 1988 nutzte. Heutzutage findet sich in dem Gebäude das zentrale Verwaltungs- und Unterrichtsgebäude der Volkshochschule

Bestandsgeschichte
Die vorliegende Splitterüberlieferung der 1856 gegründeten Provinzial-Taubstummenanstalt Stade stammt aus einer Aussonderungsaktion des Hauptstaatsarchivs Hannover vom Dez. 2003/ Januar 2004 bei dem heutigen Landesbildungszentrum für Gehörlose in Hildesheim. Die Akten waren offenbar bei Auflösung der Stader Anstalt nach Hildesheim gegeben worden. Das Hauptstaatsarchiv hat 2004 alle Stader Akten, die vorgefunden wurden, ohne Bewertung übernommen und nach Stade abgegeben. Die weitere archivalische Überlieferung zu den Taubstummenanstalten ist vor allem im Hauptstaatsarchiv Hannover zu suchen, dort für Hildeheim in den Beständen Hann. 157 sowie allgemein in den Beständen der Provinzialverwaltung Hann. 150 und Hann. 151 sowie des Oberpräsidenten Hann. 122a; weitere Bestände finden sich in Osnabrück (Rep. 711a) und als Splitterbestand für Emden in Aurich (Rep. 183).
Die Titelaufnahme nach den

Aktendeckeln besorgte Frau Cordes unter Anleitung von Herrn Dr. Lokers, sie als erweiterte Abgabeliste zu verstehen. Das Vorwort und die Gliederung sind vom U. erstellt worden.

Stade, im März 2013

Dr. Thomas Bardelle

Literatur:
Plettke, Fr., Heimatkunde des Reg.Bez. Stade Bd. 1(1905), S. 530-532.
Bohmbach, Jürgen, Stader Stadtlexikon.
Gude, W., Die Begründung und Entwicklung der provinzialständischen Taubstummen-Anstalt zu Stade. Hannover 1877
Handbuch der Provinz Hannover 1880, Hannover.
Sechzig Jahre hannoversche Provinzialverwaltung. Hrsg. vom Landesdirektorium, Hannover 1928 (S. 195 -

202).

Findmittel

Hann. 122a Nr. 2093+2094 und Nr. 5164-5168
Hann. 150 Nr. 649+650
Hann. 151

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen

verzeichnet

Abgeschlossen: Ja

Georeferenzierung

Bezeichnung

Stade, Stadt [Wohnplatz]

Zeit von

1

Zeit bis

1

Objekt_ID

9623

Ebenen_ID

1

Geo_ID

1-9623

Link

Stade, Stadt [Wohnplatz]

Georeferenzierung

Bezeichnung

Stadt Stade

Zeit von

1813

Zeit bis

1885

Objekt_ID

42

Ebenen_ID

6520

Geo_ID

6520-42

Link

Stadt Stade