Drucken

StAB 7.263

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Geiss, Imanuel

Laufzeit

1926-2011

Bestandsdaten

Geschichte des Bestandsbildners

Imanuel Geiss (09.02.1931 in Frankfurt am Main bis 21.02.2012 in Bremen) war Professor für neuere Geschichte an der Universität Bremen
Geiss entstammte der Frankfurter Arbeiterschicht. Nach einer Meningitiserkrankung fiel die Mutter 1941 den Euthanasiemorden des NS-Regimes zum Opfer; der Vater war schon 1940 gestorben. Die Geschwister Geiss kamen in ein fortschrittliches Frankfurter Waisenhaus, das Imanuel den Besuch der Oberschule und ein anschließendes Studium ermöglichte.
Nach dem Abitur 1951 besuchte Geiss das Auslands- und Dolmetscherinstitut in Germersheim, das er als geprüfter Übersetzer in Englisch und Französisch sowie Diplomdolmetscher in Englisch abschloss. Aus Kontakten zur Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) ergab sich eine Tätigkeit für das Büro Gustav Heinemanns im Bundestagswahlkampf 1953.
1955 trat Geiss der SPD bei - zwei Jahre, bevor sich die GVP auflöste. Darauf folgte eine langwährende politische Betätigung, zunächst in Form polemischer Auseinandersetzung mit der CDU/CSU und speziell mit Franz-Josef Strauß, die ihren Niederschlag in zahlreichen Beiträgen für Tageszeitungen und den Büchern "Fünfzehn Millionen beleidigte Deutsche oder Woher kommt die CDU?" (Reinbek bei Hamburg 1972) und "Was wird aus der Bundesrepublik? Die Deutschen zwischen Sozialismus und Revolution" (Hamburg 1973) fand. Bemerkenswert sind auch sein Engagement für die Sozialdemokratische Wählerinitiative und seine Analysen von Wahlergebnissen.

Finanziert durch seine Übersetzungstätigkeiten, studierte er ab 1955 Geschichte und Anglistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Franz Schnabel gehörte zu seinen akademischen Lehrern, durch Hilfstätigkeiten für das Institut für Zeitgeschichte machte er die Bekanntschaft mit Martin Broszat und anderen Wissenschaftlern. Ein weiteres Betätigungsfeld waren Auftragsrecherchen in Archiven, speziell in den Zentralarchiven der DDR in Merseburg und in Potsdam. Hier lernte er im Winter 1956/57 den Hamburger Historiker Fritz Fischer kennen, bei dem er 1959 mit der Arbeit "Der polnische Grenzstreifen 1914-1918" (Hamburg/Lübeck 1960) promovierte.
Es folgte eine Tätigkeit für die Forschungsabteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo er für die Kontaktpflege zu Afrikanischen Gewerkschaften zuständig war. Ein Ergebnis dieser Zuständigkeit war das Buch "Gewerkschaften in Afrika" (Hannover 1965). Auch Geiss' durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte, 1968 bei der Universität Hamburg eingereichte Habilitation "Panafrikanismus. Zur Geschichte der Dekolonisation" (Frankfurt am Main 1968) geht auf diese Betätigung zurück.
Nach seiner Promotion beschäftigte sich Geiss weiterhin mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs. Wichtig für die Debatte über den Kriegsausbruch 1914 wurde seine Dokumentensammlung "Julikrise und Kriegsausbruch 1914" (Hannover 1963/64) - insbesondere in ihrer Taschenbuchausgabe "Juli 1914" (München 1965). Als Schüler Fritz Fischers entwickelte Geiss eine rege Vortrags- und Debattentätigkeit; ein Höhepunkt war die Diskussion auf dem Historikertag 1964.

Während dieses Zeitraums erledigte Geiss auch Honorararbeiten für einen Schulbuchverlag, was in eine intensive Beschäftigung mit der Vermittlung von Geschichtswissen für Schüler und an die Allgemeinheit mündete. Neben der Teilnahme an konzeptionellen Debatten um den Geschichtsunterricht war Geiss Autor der Überblickswerke "Geschichte Griffbereit" (Reinbek bei Hamburg 1979) und "Geschichte im Überblick" (Reinbek bei Hamburg 1986) sowie Herausgeber des Schulbuchs "Epochen und Strukturen" (Braunschweig 1994).
Seit 1969 lehrte Geiss Geschichte in Hamburg, seit 1971 als Wissenschaftlicher Rat und Professor. Aus dieser Zeit ging die Veröffentlichung "Ansichten einer zukünftigen Geschichtswissenschaft" (München 1974) hervor. Seit 1970 war er Mitglied des Gründungssenates der Universität Bremen. 1973 wurde er dort auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der "Dritten Welt" berufen. Während der 70er-Jahre erregten seine kontroversen Meinungsbeiträge zur Gründung und Entwicklung der Universität Bremen Aufsehen.
Bis zu seiner Pensionierung 1996 nahm er zahlreiche Gastprofessuren wahr: Tel Aviv (1969), Danzig (1980/81), Brisbane (1983), am Dickinson College in Carlisle/Pennsylvania (1985/86), in Schanghai (1990), an der Humboldt-Universität Berlin (1990-1992), in Rostock (1992/93) und in Hongkong (1996). Seine Eindrücke verdichtete er immer wieder zu, zum Teil auch publizierten, Erlebnisberichten; die ausführlichste Betrachtung erfuhr dabei sein Aufenthalt in Polen, bei dem er die Reaktionen der polnischen Regierung auf den Streik vom August 1980 erlebte.

Geiss' publizierte weiterhin zu seinen Forschungsgebieten, insbesondere zur deutschen Geschichte u.a. die Bücher "Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs" (München 1978), "Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg" (München 1978) und "Der lange Weg in die Katastrophe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges. 1815-1914" (München 1990) sowie "Die deutsche Frage 1806-1990" (Mannheim 1992). Aufsehen erregte seine Position im Historiker-Streit, die er mit den Streitschriften "Die Habermas-Kontroverse. Ein deutscher Streit" (Berlin 1988) und "Der Hysterikerstreit. Ein unpolemischer Essay" (Bonn 1992) verteidigte. Neue Wissensgebiete erschloss er sich mit den Veröffentlichungen "Geschichte des Rassismus" (Frankfurt am Main 1988) und "Europa: Vielfalt und Einheit, eine historische Erklärung" (Mannheim 1993).
Auch nach seiner Pensionierung lebte und arbeitete er in Bremen.

Bestandsgeschichte

Geiss legte seit 1954 seine Korrespondenz chronologisch und alphabetisch nach Korrespondenzpartnern geordnet ab, so dass sich in den aufeinander folgenden Bänden über Jahre laufende Schriftwechsel dokumentieren, die Einblicke in die Hintergründe seiner Tätigkeit als Forscher und politischer Publizist geben. Parallel dazu baute Geiss eine thematisch geordnete Manuskript- und Materialsammlung auf.
Nach seinem Tod vereinbarte das Staatsarchiv Bremen mit seiner Witwe eine Übernahme dieser Materialien, die Anfang April 2015 erfolgte.

Enthält

Korrespondenzen 1954-2011 - Materialsammlungen - Rezensionen und Sonderdrucke

Literatur

Neben Geiss' Publikationen ist ein autobiographisches Interview heranzuziehen, das in Hohls, Rüdiger/Jarausch, Konrad H. (Hrsg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000 veröffentlicht wurde.
Das Bundesarchiv verwahrt in Koblenz den Nachlass von Fritz Fischer (BArchiv N 1422), Geiss' Doktorvater und wichtigsten akademischen Lehrer. Zu Geiss' Arbeitsumfeld sei auf die Universitätsarchive Bremen und Hamburg hingewiesen. Geiss' öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit Entwicklungen in der Universität Bremen hat ihren Niederschlag auch in anderen Beständen gefunden (StAB 4,63/2 - 490, 491, 672 und 675 sowie 7,162 - 310 und 331).

Weitere Angaben (Bestand)

Umfang in lfd. M.

10,5

Benutzung

Für die Benutzung gelten die Regelungen des Bremischen Archivgesetzes.