
Identifikation (kurz)
Titel
Jüdische Personenstandslisten
Laufzeit
1922-1944 (1987)
Bestandsdaten
Bestandsgeschichte
Die jüdischen Gemeinden im Königreich Hannover wurden ab 1. Juni 1844 zum Führen von Geburts-, Trauungs- und Sterbelisten verpflichtet (Bekanntmachung vom 04.11.1843: Gesetzsammlung für das Königreich Hannover 1843, Abtlg. I, S. 261 ff) und führten diese bis zur Einführung der Standesamtsregister im Jahr 1874/75. Viele Gemeinden setzten die Eintragungen auch darüber hinaus bis zur Jahrhundertwende, einige Gemeinden sogar bis 1938 fort. Für eine Reihe von Gemeinden erstellten die um 1844 amtierenden Vorsteher zudem sogenannte Familienbücher, in denen für jede Familie die jeweiligen Familienmitglieder mit Geburtsdatum und Geburtsort aufgelistet waren. Auch bereits Verstorbene, deren Lebensdaten man sich noch erinnerte, wurden mit aufgenommen, sodass einige Familien bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgt werden können. Für einige Gemeinden sind Zivilstandsregister aus der westphälischen Zeit (1808 bis 1813) und vereinzelte Verwaltungsschriftstücke der Gemeinde (z.B. Grundstücksankäufe) überliefert. Mancherorts lassen sich die jüdischen Gemeinden somit vom 18. Jahrhunderts bis 1938 dokumentieren. Das Landrabbinat führte zudem ebenfalls Familienbücher über die unter ihre Zuständigkeit fallenden Gemeinden, die in sechs Bänden überliefert sind und vom 18. Jahrhundert bis 1844 reichen. Die Hauptsprache der Personenstandunterlagen ist deutsch, doch finden sich in vielen Listen auch hebräische Wörter oder Textpassagen.
Die jüdischen Personenstandsregister sind dann im Zuge der Pogromnacht im November 1938 durch das Reichssippenamt in Berlin beschlagnahmt und zentral in Berlin zusammengeführt worden. Die Auswertung der Register sollte dem Reichssippenamt zur lückenlosen Erfassung aller jüdischen Menschen in Deutschland dienen und so finden sich beispielsweise auch Nachtragungen in den Registern z.B. über die Annahme der Zwangsnamen "Sara" bzw. "Israel" aus den Jahren 1938/1939 oder Vermerke über die Auswanderung von Personen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die jüdischen Personenstandsregister aus Luftschutzgründen auf Schloss Rathsfeld in Thüringen gebracht, das seit Sommer 1943 als Ausweichquartier für das Reichsippenamt diente. Dort sollen sie von den russischen Besatzungstruppen bei Kriegsende gefunden, an einen unbekannten Ort verbracht und letztlich in einem Keller 1946 durch Hochwasser vernichtet worden sein. Dies war dem Hauptstaatsarchiv vom Staatsarchiv Potsdam mitgeteilt worden (ca. 1986).
Kurz vor Kriegsende waren die Register noch im Auftrag des Reichssippenamts durch die Firma Gebrüder Gatermann in Duisburg - Hamborn verfilmt worden. Im Juli 1947 wendete sich die Firma an den Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Archivverwaltung, und bot die Niedersachsen betreffenden und bis dahin noch nicht entwickelten Filme zum Kauf an. Laut Firmenangaben waren 112 Orte für Hannover-Braunschweig mit 11.739 Aufnahmen erstellt worden. Der Kaufpreis wurde mit ca. 1.160 Reichsmark angegeben. 859 Seiten wurden als fehlerhaft beschrieben. Zur Erklärung gab die Firma Gatermann u.a. schlechte Lichtverhältnisse, Materialfehler und schwankende Stromstärken während der Aufnahmezeit sowie Beschädigungen des Filmmaterials bei der Verlagerung von Thüringen nach Duisburg und dabei erfolgter Kontrollen der Filmrollen durch die Besatzungstruppen 1945 an. Die käuflich erworbenen Filmrollen wurden im April 1948 durch die Firma Gatermann an die betreffenden Staatsarchive in Aurich, Hannover, Osnabrück und Wolfenbüttel per Paket versandt. Die in den Zuständigkeitsbereich des Staatsarchivs Stade fallenden Filme wurden nach dessen Errichtung in den Jahren 1959/60 durch das Hauptstaatsarchiv Hannover dorthin abgegeben. Für das frühere Land Oldenburg sind keine Register überliefert.
Die Gliederung des vorliegenden Bestandes erfolgte nach Gemeinden in alphabetischer Reihenfolge. Am Schluss des Bestandes liegen 2 Filme ohne Nummer, die "Beschreibungen der Originale der Judenfilme" (Aufnahmeprotokoll, angefertigt 1944) mit den Angaben über Größe und Zahl der beschriebenen Blätter sowie über den Erhaltungszustand enthalten.
Von den in Hannover lagernden Filmen sind in Buchform gebundene Vergrößerungen (schwarz-weiß Kopien) in den Jahren 1962 bis 1965 erstellt worden. In diesen Büchern wurden in der Folgezeit noch einzelne handschriftliche Ergänzungen vorgenommen (z.B. Nachtragungen von Sterbedaten von im Holocaust ermordeten Juden).
Nach mehreren Umsignierungen des Bestands in den vergangenen Jahrzehnten war eine unmissverständliche Bestellung einzelner Bücher nur noch schwer möglich, weshalb der Bestand im Winter 2024/ Frühjahr 2025 neuverzeichnet und insgesamt 152 Verzeichnungseinheiten gebildet wurden. Im Zuge der Neuverzeichnung wurden alle Orte (auch damalige Eingemeindungen) und sofern ersichtlich die Vorsteher der jüdischen Gemeinden, denen die Führung der Personenstandsregister oblag, namentlich aufgenommen. Hinweise zu handschriftlichen Ergänzungen, die auf den Ausdrucken notiert wurden, wurden im Datensatz ebenso aufgenommen wie die bereits durch das Reichsippenamt vorgenommene Eintragungen.
Mit Ausnahme von 9 Verzeichnungseinheiten ist der Bestand komplett über Arcinsys recherchierbar. Bei den Gemeinden Adelebsen, Bassum, Eldagsen, Hannover, Lüneburg, Lüthorst, Pattensen und Rössing sind aus Datenschutzgründen noch die jüngeren Geburtsregister, die teilweise bis 1938 fortgeführt worden waren, gesperrt.
Die Filme sollen in naher Zukunft digitalisiert werden um die Benutzung der jüdischen Personenstandsregister zu erleichern und die durch starke Benutzung beanspruchten Bücher zu schonen bzw. zu ersetzen. Noch ist unklar, ob in den 1960er Jahren ein kompletter Ausdruck der Filmrollen erfolgt war oder nur Seiten entwickelt wurden, die lesbar waren (oder in deutscher Sprache).
Hannover, im April 2025
gez. Sylvia Günteroth
Quellen:
Nds. 50 Acc. 135/96 Nr. 21
analoges Findbuch zum Bestand Hann. 83b, erstellt im Oktober 1974
Enthält
Geburts-, Trauungs- und Sterbelisten jüdischer Gemeinden sowie Familienbücher
Findmittel
EDV-Findbuch (2025)